Carl Orff war wohl kein Held
Vortrag Die Rolle des Komponisten in der Zeit des Nationalsozialismus
Dießen Das traditionelle Orff-Fest hat seit diesem Jahr einen neuen Charakter. Erstmals ging es auch um das kompositorische Umfeld, in dem sich der Schöpfer der Carmina Burana, Carl Orff, bewegt hat. Zum neuen Gesicht des Festivals gehört aber auch die politische Einordnung des Künstlers und sein Wirken in der Nazizeit. Mit dem Wiener Universitätsprofessor Dr. jur. Dr. phil. Oliver Rathkolb wurde nun ein ausgewiesener Kenner der Zeitgeschichte nach Dießen eingeladen.
Die Festivalleitung geht also offensiv mit einem höchst sensiblen und umstrittenen Thema um. Dieses bewegt sich in den Koordinaten von Orff als Widerstandskämpfer bis zum angepassten Profiteur des Naziregimes. Rathkolb („Zeitgeschichtliche Analysen zur NS-Kulturpolitik am Beispiel von Carl Orff“) zeigte, dass die Haltung der Nazis zu Carl Orff eher ambivalent war. Im Ergebnis betonte der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, dass Orff ein „passiver Antinazi“gewesen sei. Er hatte sich weder durch besondere antisemitische Äußerungen hervorgetan, noch wie Karl Böhm eine glühende Eloge auf den Nationalsozialismus veröffentlicht.
Allerdings hatte er sich bereits 1933 in der Reichsmusikkammer als Mitglied eintragen lassen. Das wiederum reizte den anwesenden emeritierten Germanistikprofessor Dr. Lutz Götze aus Herrsching in der Diskussion zu der Bemerkung, dass Rathkolb Orff „als zu milde“gesehen habe. Michael Kugler, Professor für Musikwissenschaft aus Geretsried, zitierte die Tochter des Komponisten, Godela Orff, mit den Worten: „Mein Vater war kein Held“. Schließlich forderte der ehemalige Generalmusikdirektor des Hildesheimer Stadttheaters, Werner Seitzer, Orff nüchtern als genau das zu sehen, was viele Deutsche kennzeichnete: Einen reinen Mitläufer, der zu Hause am Küchentisch anders sprach als bei öffentlichen Paraden.
Wie schwierig es doch ist, ein schlüssiges Bild zu schaffen, zeichnete sich als einer der Kernpunkte des gesamten Vortrags ab. Das 1939 uraufgeführte Stück „Der Mond“kam nicht besonders gut an, „Die Kluge“auch nicht. Die Carmina Burana lagen den Nazis gar nicht. Am 27. April 1933 schrieb Orff: „Das Schulwerk ist ausgesprochen blond und trägt Scheitel“.
Allerdings bekam Orff ein Auftragswerk von Goebbels. Der wollte den „Sommernachtstraum“von einem deutschen Komponisten neu vertont haben. Dr. Thomas Rösch, Direktor des Orff-Zentrums in München, verteidigte Carl Orff als von ständigen Geldsorgen geplagten Musiker, der sich bereits seit seiner ersten Berührung mit Shakespeares Stücken im Jahr 1917 mit der Komödie beschäftigt habe. Der Nazi Hans Fleischer hatte Orff als „atonalen Juden“und „Quertreiber“bezeichnet, der in einer Linie mit „Strawinsky, Toch, Weill“stand. Der Komponist erwiderte, dass „seine Musik, insbesondere seine Schlagwerk-Instrumente, nichts mit Jazz oder irgendwelchen Exotismen zu tun haben“, sowie „dass meine gesamte Arbeit nicht im Entferntesten mit atonaler Musik zu tun hat“.
Die öffentliche Diskussion über Orffs Einstellung zu den Nazis wurde, wie Rathkolb argumentierte, durch einen schwach beweisbaren Satz über Orffs Tätigkeit im Widerstand
Ein ständig von Geldsorgen geplagter Musiker
geprägt. So habe Orff sich in einem Interview mit einem USamerikanischen Militärangehörigen nach dem Kriege zu einem Mitglied des Widerstands stilisiert. Bekannt ist auch, dass beim Entnazifizierungsverfahren von Orff, dem sogenannten Screening, zu dem auch ein psychologischer Test gehörte, ein Persönlichkeitsprofil erstellt wurde. Das kam zu dem Ergebnis, dass Orff nichts mehr interessiere als sein Werk.