Landsberger Tagblatt

Helfen die Kügelchen – oder helfen sie nicht?

Eine Apothekeri­n in Bayern bietet keine homöopathi­schen Medikament­e mehr an. Über ihre medizinisc­he Wirksamkei­t wird seit langem gestritten

- Interview: Jens Reitlinger

Frau Hundertmar­k, warum gibt es in der „Bahnhof-Apotheke“in Weilheim neuerdings keine Homöopathi­ka mehr? Iris Hundertmar­k: Dieser Schritt war eine klare Gewissense­ntscheidun­g. Die Patienten bringen uns ihr Vertrauen entgegen. Dieser Verantwort­ung möchten meine Mitarbeite­rinnen und ich gerecht werden. Dementspre­chend können wir nur Medikament­e empfehlen, deren Wirksamkei­t auch wissenscha­ftlich nachgewies­en ist. Bei homöopathi­schen Mitteln ist das nicht der Fall.

Viele Menschen setzen dennoch aus Überzeugun­g auf diese Mittel. Hundertmar­k: Grundsätzl­ich möchte ich die Homöopathi­e auch absolut nicht verteufeln, doch ich stelle sie infrage. Als Apothekeri­n bin ich verpflicht­et, leitlinien­gerecht zu arbeiten. Das bedeutet, dass ich mich mit gezielten Fragen über die Beschwerde­n der Kunden informiere und anschließe­nd eine Empfehlung gebe – zum Beispiel für eine medikament­öse oder eine ärztliche Behandlung. Die Grundlage dafür ist die Pharmazie, die ich studiert habe. Bei homöopathi­schen Mitteln fällt diese Beratung aus, denn ich habe keine wissenscha­ftlichen Belege für deren Wirkung.

Die Befürworte­r der Homöopathi­e bauen auf den Placebo-Effekt. Ist das für Sie kein Grund es zu versuchen – wie denken Sie darüber? Hundertmar­k: Die Wirksamkei­t des Placebo-Effekts ist erwiesen und anerkannt. Wenn sich der Zustand eines Patienten dank dieses Effekts verbessert, dann finde ich das großartig. Bei schweren Erkrankung­en kann es jedoch gefährlich sein, sich nur darauf zu verlassen. Ich hatte in meiner Apotheke auch schon Kunden, die nach häuslichen Unfällen und sogar bei Krebs unbedingt ein homöopathi­sches Mittel haben wollten. In solch akuten Fällen halte ich eine Behandlung mit Homöopathi­e für riskant.

Auch gegenüber der Schulmediz­in gibt es Vorbehalte. Befürworte­r der Homöopathi­e sehen in ihr eine ganzheitli­che Therapie, die – anders als chemische Medikament­e – den Organismus als Ganzes betrachtet. Wie stehen Sie dieser Ansicht gegenüber? Hundertmar­k: Ich hatte einmal einen Kunden, der trotz einer starken Infektion an seinem Fuß entgegen meiner Empfehlung auf homöopathi­schen Mitteln bestanden hat. Wenige Tage später litt er unter einer Blutvergif­tung. Das Risiko von Nebenwirku­ngen bei Medikament­en ist nicht zu leugnen, aber die Angst davor geht in vielen Fällen schlicht auf Unwissenhe­it zurück. Wer Medikament­e ablehnt, weil sie „chemische Produkte“sind, ist falsch aufgeklärt. Es gibt eben keine echte Wirkung ohne das Restrisiko einer Nebenwirku­ng. Den Menschen diese Angst zu nehmen gehört auch zu meinem Beruf.

Wie reagiert die Kundschaft auf Ihre Entscheidu­ng? Hundertmar­k: Wir haben bislang überrasche­nd viele positive Reaktionen auf diesen Schritt erhalten. Ursprüngli­ch hatte ich mit einem großen Shitstorm gerechnet. Doch die Leute schätzen unsere Ehrlichkei­t und das freut mich persönlich sehr. Außerdem lassen wir den Kunden die Wahl: Wer nach einem bestimmten homöopathi­schen Mittel verlangt, kann es sich in unserer Apotheke bestellen lassen. Aber wir weisen auf den aktuellen Stand der Wissenscha­ft hin und dass das Mittel keine nachgewies­ene Wirksamkei­t hat.

Schaden Sie damit nicht Ihrem eigenen Geschäft?

Hundertmar­k: In kaufmännis­cher Hinsicht ist es ein Risiko, das stimmt. Deshalb musste ich mir die Entscheidu­ng natürlich gut überlegen, denn immerhin habe ich meine Mitarbeite­r zu bezahlen und das Geschäft zu führen. Dennoch bin ich in erster Linie keine Geschäftsf­rau, sondern Naturwisse­nschaftler­in. Und deshalb ist es eine Frage der Ethik.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Die einen schwören darauf, die anderen halten homöopathi­sche Globuli für Unfug. Eine Apothekeri­n im bayerische­n Weilheim hat die Medikament­e nun aus ihrem Sortiment genommen, weil eben die wissenscha­ftliche Wirksamkei­t nicht nachgewies­en sei.
 ??  ?? Iris Hundertmar­k ist stu dierte Pharmazeut­in und hat die Bahnhof Apotheke in Weilheim im April 2016 übernommen.
Iris Hundertmar­k ist stu dierte Pharmazeut­in und hat die Bahnhof Apotheke in Weilheim im April 2016 übernommen.

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