Landsberger Tagblatt

Das ganze Dorf macht Theater

Mehr Mitglieder als Einwohner: Burg führt mit bis zu 80 Sprechroll­en sogar selbst geschriebe­ne Stücke mit großem Aufwand auf. Wie das?

-

schicken ließ – einen überall gespielten „Brandner Kasper“will man in Burg nicht –, war er mit nichts so richtig zufrieden und wagte den Sprung, selber zu schreiben. Nicht weil er Autorenträ­ume hätte oder ein leidenscha­ftlicher Theaterman­n wäre. Sondern weil er immer schon gerne Gedichtche­n für Hochzeiten und Geburtstag­e geschriebe­n und gedichtet habe (längst wunderte sich seine Frau Anita nicht mehr, wenn nachts kurz dessen Nachttisch­lampe anging, weil er sich eine Idee notieren musste – sie begann auch selbst damit). Und weil er etwas über die Menschen zur Nachkriegs­zeit in Mittelschw­aben erzählen wollte. So wurde „Früher war alles besser“mit zwölf geplanten und fünf Zusatzvors­tellungen als echtes Volkstheat­er zum „größten Erfolg in der Vereinsges­chichte“. Josef Stadler, heute 70 Jahre alt und damals mit Marianne Rothmayer das Ehepaar im Stück, das durch Erinnerung­en an die Jahre 1945 bis 1982 führte, sagt: „Die Leute haben uns danach gesagt, ja, genau so war es – zum Beispiel die Szene, wie damals die Amerikaner kamen …“

Bernhard Horn hat dazu nicht nur einfach viel zugehört bei Gesprächen im Dorf. Der Verein hat dafür auch historisch­e Gefährte aufgetrieb­en, vom amerikanis­chen Mini-Panzer bis zum Hippie-Käfer. Die Mitglieder haben zur Verfügung gestellt oder besorgt, was nötig, hilfreich, schön war: vom einfachen Werkzeug bis zum Radlader, von alten Kleidern bis zum Kuchen für die Handwerker. Ein solcher ist Felix Stadler, 61, Maler, der die Fassaden der Holzbauten und die Innenräume gestaltet; und Günter Mörz vom örtlichen Elektroges­chäft, der für die Tontechnik samt der Funk-Mikros sorgt; oder Anton Aimiller, 77, der mit Johann Joas, 72, vom neu gebauten Technikhau­s oberhalb der Kulisse die Beleuchtun­g regelt; und auch Xaver Deisenhofe­r, 77, den alle nur den „Hausmeiste­r“nennen, weil er einfach immer für die nötige Ordnung sorgt und damit gut beschäftig­t und voll dabei ist. Alles ehrenamtli­ch, das versteht sich in Burg von selbst.

Die hier heimischen Menschen helfen zusammen, um die Geschichte ihrer Heimat zu erzählen. Es sind mehr, als das Dorf an Einwohnern hat, weil in dem irgendwann die Bauplätze ausgegange­n sind, wer wegzog aber, dem Verein trotzdem treu geblieben ist. Und der Nachwuchs? Allein zwei Jugendbeau­ftragte gibt es im elfköpfige­n Vorstand, weil daran so gar kein Mangel herrscht. Warum? Timo Högel, zehn Jahre alt, sagt, weil er einfach mitmachen will, aus Spaß, wie seine Freunde – und nicht nur weil Papa Christian, sonst Landwirt, halt auch einer der Schauspiel­er ist. Im nächsten Stück wird Timo erstmals eine Sprechroll­e haben, als Sohn des Bürgermeis­ters, den aber eben nicht sein Vater gibt. So was hat im Verein schon dafür gesorgt, dass einer seit vielen Jahren einen anderen Vater nennt, obwohl die beiden gar nicht verwandt sind. Aber im Theater entstehen eben neue Bünde, und die gehören zur Geschichte und zum Alltag des Dorfes. Und immer mehr wollen daran teilhaben. Weil Bernhard Horn versproche­n hat, dass jeder, der eine Sprechroll­e will, auch eine bekommt, hat das nächste Stück davon ganze 80. „Der Sinn des Lebens“heißt es, ist wieder ein Gang durch die Historie, diesmal bis zum Mauerfall, wagt erstmals auch eine szenische Exkursion, nach Hamburg, 1969 – und feiert am 14. Juni 2019 Premiere.

Alle Termine stehen schon und alle Schauspiel­er haben seit drei Monaten bereits ihre Texte. Denn es bleiben ja Laien im Burgstallt­heater, sie richten ihre Urlaube nach den Aufführung­en und haben nur ihre Freizeit zum Üben – auch wenn etwa Martin Fritz, 43, fast profimäßig nach all den Jahren so gar nichts mehr von Lampenfieb­er wissen will, obwohl er eine Hauptrolle spielt, den Pfarrgemei­nderatsvor­sitzenden nämlich. Natürlich gibt es trotzdem Pannen: Zugbrücken, die auf halber Höhe hängen bleiben, die einen Schauspiel­er, die ihre Texte vergessen und darüber auf offener Bühne lautstark in Wut geraten, die anderen, die ihren Einsatz verpassen, weil sie mit dem Regisseur plaudern, bis sich beide plötzlich wundern, warum das Stück ins Stocken geraten ist. Aber solches gehört dann langfristi­g eben wieder zur Dorfgeschi­chte, und kurzfristi­g hilft der Humor, auch der der Zuschauer, die schließlic­h wissen, dass es hier nicht um hohe Kunst, sondern um volkstümli­che Unterhaltu­ng geht.

Im Jahr 2000 aber, als fast alles ins Stocken geraten wäre, da brauchte es Menschen, die Verantwort­ung für das Miteinande­r übernehmen. Und in diesem Dorf namens Burg, das man durch einen Moment der Unachtsamk­eit am Steuer allzu leicht rechts liegen lässt, da gibt es diese Menschen. Die das Ich in den Dienst eines Wir stellen, abseits von Geschäft und Ruhm. Auch wenn sie das selbst so natürlich nicht sagen würden. Aber nur so sind solche Märchen möglich.

Mietmarkt Bekanntsch­aften

Vx–Vx Vx–Vx

Geldmarkt Geschäftsv­erbindunge­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany