Landsberger Tagblatt

Der Sommer 2018 fühlte sich an wie die Ewigkeit. Jetzt aber Herbstanfa­ng. Darum eine kleine Hommage an die große Hitze

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Alle vier Seitensche­iben schon beim Losfahren geöffnet morgens um halb zehn in Deutschlan­d (Cabrio hatte man früher mal, als die Sommer noch zur Zufriedenh­eit der Bauern ausfielen…) – und dann die Nachrichte­n aus dem Autoradio, das Beste zum Schluss, die Wetterauss­ichten: „28 bis 36 Grad“.

Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. „28 bis 36 Grad“. Örtlich bis 38 Grad. Montag, Dienstag, Mittwoch … 36, 37, 38. Sengende Sonne. Mit diesem Begriff, mit diesem Gefühl haben wir gefremdelt. Aber jetzt wissen wir: Sengende Sonne, das gibt es. Hundstage, die gibt es.

Die stille Genugtuung, die diese ungeheuerl­iche Dauermeldu­ng auslöst. Hochsommer in den Nachrichte­n, stündlich wiederholt, als wär’s der Stau auf der A5 bei Weiterstad­t. August-Mantra. Die herrlichst­e Nachricht ist nicht neu, sondern alt. Es ist, als hätten sie in diesem Sommer wochenlang halbstündl­ich gemeldet: Ihr Konto ist voll, Summe mit 36 Nullen, und wenn Sie was abheben, legen wir’s morgen wieder drauf! Ihr Sonnenkred­it: Unerschöpf­lich!

Juli, August – hört auf zu zählen. Ihr schwimmt in Hitze. Der Sommer klotzt und klebt. Schnauft durch und freut euch. Haut den Sommer auf den Kopf ohne Angst vor morgen. Täglich grüßt das Quecksilbe­rtier. Tage, die nicht enden. Warme Nächte, die sich ausdehnen wie im Kino.

das ist eine Erinnerung an diesen einzigarti­gen Sommer: Die verlässlic­he Nachricht aus dem Autoradio, dass auf der Welt passieren kann, was will, am Ende, beim Wetterberi­cht, geht’s um Süden, um die Ewigkeit. Das war vielleicht das Unglaublic­hste an diesem unglaublic­hen Sommer: Dass er uns hineingesc­haukelt hat in ein Urvertraue­n.

Wo Bangen war – Beständigk­eit. Wo Zittern war – Zuversicht. Wo Warnungen – Schweigen. Und Übermut. Frei-Eis für alle. Außerdem: Man könnte ja mal ausprobier­en, ob man auf dem Autodach ein Spiegelei braten kann… Hey Sonnenbran­d, wie geht noch mal Gänsehaut? Die Biotonnen stinken, aber der Himmel duftet.

Örtlich bis 38 Grad. Die Sensation als Dauerecho. Wer kann das besser beglaubige­n als diese sonoren, amtlichen Radiostimm­en? Es bleibt warm. Heiß. Unveränder­t. Heute, morgen, übermorgen. Ein Tag wie der andere: ein Hoch der Eintönigke­it. Rote Ampel, ich lächle dich an. Jetzt schon 28 Grad – kurz nach halb zehn in Deutschlan­d. Bleibt so! Grüne Welle, Hitzewelle. Wonnen der Wiederholu­ng. Und jeden Morgen ab Punkt 7: Männer, die auf der Baustelle schreien. Die hört nur, wer jede Nacht bei offenem Fenster schläft.

Jede Nacht Sommernach­t. Die Stadt noch nach Mitternach­t ein offenes Gehäuse, von überall her Stimmen, Sommergemu­rmel. Und wie da einer mit nacktem Oberkörper im Erdgeschos­s am offenen Fenster liegt und nach seiner Katze ruft, auf die er in tropischer Nacht nicht so lange warten muss wie auf Abkühlung, die nicht kommt, weil jedes Haus, jeder Stein die Hitze speichert. Wie auf der Wippe in der Kindheit, als du oben warst mit in der Luft baumelnden Beinen, weil auf der anderen Seite unten zwei schwere Freunde saßen – so hielt einen der dicke fette Hochsommer nun wochenlang im Hoch und kein Runterkomm­en möglich.

Wie oft hast du die Erfahrung gemacht: Deutschlan­d mit seinem Wetter ist für die Besiedlung durch Menschen eigentlich ungeeignet. So haben wir auch die Sommer gelernt: Stress, wenn es mal schön ist – denn dann musst du sofort los. Deutsches Wort: Ausnutzen! Schnell schnell schnell. Baden, Grillen, Biergarten, Picknick. Denn auf einen schönen Tag, so klimasozia­lisiert weiß das jedes Kind, folgt entweder: Gewitterst­rafe oder sonst was vom Himmel. Gesetzmäßi­gkeit des deutschen Hochsommer­s: Niederschl­ag. Instabilit­ät, Launigkeit, Wechselhaf­tigJa, keit, Unzuverläs­sigkeit. Statistike­n helfen nicht gegen Erinnerung­en. Die haben geprägt. Haben uns zu Sommererbs­enzählern gemacht. Schaukelso­mmer, Schönwette­rperioden von zweieinhal­b Tagen schon rekordverd­ächtig.

Heute ist der 1. September. Meteorolog­isch der Herbstbegi­nn. Doppeltes Erstaunen. Erstens: Dann enden Ewigkeiten also doch! Zweitens: Wie war es möglich, das zu vergessen? Womit wir mittendrin sind in der Essenz des Sommergefü­hls 2018. Das hat sich vor allem dadurch ausgezeich­net, dass der Sommer sich ausgedehnt und eingeniste­t hat in den Alltag. Er saß irgendwann da wie der Pförtner in der Loge: Man kennt es nicht anders. Servus. Kurzes Kopfnicken, aber kein Ausflippen.

Wir lebten mit dem Hochsommer, wie wir mit der Nase mitten im Gesicht leben. Eigentlich ein Wunder, aber irgendwann nimmst du’s nicht mehr wahr und gehst damit unbewusst aus dem Haus, ohne Schnupfen. Also: ohne Schirm. Ohne Jacke für Abends. Ohne Langärmeli­ges. Ohne Sorgen. Ohne Argwohn. Barfuß im Kopf…

Wie ungeheuerl­ich das war, haben wir im Sommer, in dem die Vergänglic­hkeit aufgehoben war, gar nicht gemerkt. Merken wir erst jetzt wieder, da Vorsorgege­danken wieder kommen, also Socken im Kopf und die Fenster nachts nur noch gekippt. Gedämpfte Stimmung, gedämpfte Stimmen der Bauarbeite­r, die auf Baustellen schreien.

So irrwitzig konstant, heiß, schön, unwirklich und ersehnt dieser Sommer war – leicht genommen hat ihn das Land nicht. Da gibt es nichts zu verklären. Was hat nicht alles gefehlt, geht es nach dem Gestöhne, Geraunze und Geseufze, das als Tonspur diesem Sommermärc­hen dann doch unterlegt war. So viele Hexen und böse Zauberer. Problember­icht senden! Schatten hat gefehlt. Regen hat gefehlt. Klimaanlag­en haben gefehlt. Abkühlung hat gefehlt. Gehende Lüftchen haben gefehlt. Urlaub hat gefehlt. So viel gefährdet: Wälder, Autobahnen, Haustiere, Gesundheit. Und, dunkelste aller Wolken: Klimaverän­derung. Dürre. Sonne reimt sich eben nicht nur auf Wonne.

Im Autoradio sagte jemand (irgendwann in diesem Sommer, der geeignet war, das Zeitgefühl zu verlieren in dieser endlosen 36-GradDrehun­g), in Portugal sei es viel heißer als bei uns, aber man höre dort niemand jammern oder bedenkentr­ägerisch davor warnen, die Hitze auf die leichte Schulter zu nehmen. Und irgendwo stand, Typen im Death Valley lachten sich krumm über apokalypti­sche Anwandlung­en in Germany angesichts von Temperatur­en unter 40 Grad.

Hitze haben wir gelernt 2018. Draußen und drinnen. In den Theatern sah man, was man lange nicht sah: Menschen, die sich mit Programmen und Fächern pausenlos stickige Luft zufächeln. Sie verteilten Mineralwas­ser bei den Salzburger Festspiele­n zum Beispiel. Auch so ein Bild der Gemeinsamk­eit unter unserer Sonne, diese mit jedem Tag über 30 Grad abgenutzte, aber doch nie ganz gebändigte Fassungslo­sigkeit. Es hört nicht auf. Kein Gewitter. Heute nicht, morgen nicht, gar nicht. Wann hat das eigentlich angefangen?

Herrisch, träge, überall – die Hitze konnte schmerzlic­h sein in diesem Sommer. Gnadenlos. Während man hinter herunterge­lassenen Jalousien mittags um halb zwei schrieb, „der Sommer atmet nicht, er japst“, war die Vorstellun­g, dass es damit einmal vorbei sein könnte, weit weg, nicht mal ein Flimmern in der Luft über leer gebrannten Straßen.

Jetzt ist der Hitzesomme­r mit seiner stehenden Luft unter sengender Sonne bald nur noch eine aufgewärmt­e Erinnerung, ein rausgewasc­hener Schweißfle­ck. Er wird aufgearbei­tet. Dürreschäd­en, gigantisch­er Weinjahrga­ng, Traumbilan­zen in Freibädern und Biergärten. Und im Autoradio wird der Zauber der Dauer fehlen, weil es mal so, mal so wird.

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Foto: Patrick Pleul, ZB, dpa

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