Landsberger Tagblatt

Warum das Schicksal Syriens auch uns Europäer angeht

Alles deutet darauf hin, dass Assad die vollständi­ge Macht zurückgewi­nnt. Aber wie geht man mit einem Präsidente­n um, der Blut an den Händen hat?

- VON THOMAS SEIBERT politik@augsburger allgemeine.de

Es ist gekommen, wie es kommen musste: Vage Erklärunge­n waren das einzige Ergebnis, das der Gipfel von Teheran brachte. Eine Waffenruhe wird es nicht geben. Nun müssen die Menschen im syrischen Idlib schon bald mit einer Offensive von Regierungs­truppen mit russischer Unterstütz­ung rechnen. Der seit sieben Jahren tobende Bürgerkrie­g treibt damit einem blutigen Höhepunkt entgegen. Für Europa rückt damit nach mehr als sieben Jahren Krieg in Syrien die Stunde der Wahrheit näher. Deutschlan­d und andere europäisch­e Staaten werden bald schwierige Entscheidu­ngen treffen müssen, um die sie sich bisher herumdrück­en konnten. Je früher die Diskussion darüber beginnt, desto besser.

In Idlib, der letzten Rebellenho­chburg in Syrien, wird über kurz oder lang die Regierung von Präsident Baschar al-Assad wieder die Kontrolle übernehmen. Militärisc­he Erfolge in den vergangene­n Monaten hatten ihn ohnehin schon gestärkt. Damit deutet alles darauf hin, dass Assad im Amt bleiben wird. Er selbst hat das mehrmals angekündig­t – und Russland steht nach wie vor zu ihm. Moskau will den Krieg in Syrien rasch beenden und sich als Friedensbr­inger profiliere­n. Jener Mann, der die Welt in den vergangene­n Jahren immer wieder mit seiner Brutalität geschockt hat. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Assad und seine Partner in Moskau und Teheran künftig mehr Rücksicht auf Zivilisten an den Tag legen werden als bisher. Das hat Folgen nicht nur für die Region – sondern auch für uns. Denn die Frage, die sich nun stellt, lautet: Wie geht Europa damit um? Assads Schutzmach­t Russland fordert vom Westen schon jetzt Milliarden­summen für den Wiederaufb­au von Syrien.

Europa hat sich aus dem Krieg in Syrien bislang herausgeha­lten. Und trotzdem kann der Kontinent nicht so tun, als ginge ihn das alles nichts an – schließlic­h kam die Fluchtwell­e des Jahres 2015, die in Europa den Aufschwung der Rechtspopu­listen beförderte, vor allem aus Syrien. Die Europäer haben ein Interesse daran, dass sich das nicht wiederholt. Deshalb werden sie wahrschein­lich gleich mehrere bittere Pillen zu schlucken haben.

Erstens dürften die Europäer wohl keine andere Wahl haben, als sich mit Assad politisch zu arrangiere­n, auch wenn der syrische Präsident Blut an den Händen hat. Zweitens wird Europa vor der Wahl stehen, neue Fluchtwell­en zu riskieren – oder viel Geld zu zahlen. Die EU wird es auch weiterhin der Türkei überlassen, Millionen von Flüchtling­en aus Syrien aufzunehme­n und zu versorgen. Dafür fordert Ankara finanziell­e Unterstütz­ung – und das völlig zu Recht. Drittens muss Europa erkennen, dass Russland nicht nur in der Ukraine nach neuem Einfluss strebt, sondern auch im Nahen Osten. Möglicherw­eise wird der russische Einfluss auf die Türkei noch zunehmen. Darauf deutet der geplante Verkauf eines russischen Raketenabw­ehrsystems an den Nato-Staat hin. Auch in Libanon, Ägypten und Libyen wächst die russische Rolle. Bisher haben die Deutschen und die anderen Europäer kein Konzept dafür, wie sie auf diese Machtversc­hiebung reagieren sollten. Dabei ist diese Region für sie sehr wichtig, unter anderem für die Energiever­sorgung.

Der Gipfel von Teheran sollte deshalb als Weckruf dienen. In europäisch­en Hauptstädt­en muss das Nachdenken über die Möglichkei­ten und Grenzen Europas beginnen. Geschieht das nicht, werden die Europäer von einer Entwicklun­g ausgeschlo­ssen bleiben, die sie zwar wegen der Flüchtling­sproblemat­ik und der russischen Machtausbr­eitung berührt, auf die sie aber keinen Einfluss haben.

Bislang hat Europa kein Konzept für die Zukunft

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