Landsberger Tagblatt

Der Mann, der Moskau umpflügt Porträt

Sergej Sobjanin ist ein grauer Apparatsch­ik. Doch er hat Russlands Hauptstadt in die Hypermoder­ne katapultie­rt

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Fast kommen ihm die Tränen. „Seht, was wir geschafft haben, wie uns die Welt während der Fußball-Weltmeiste­rschaft erlebt hat, was aus dreckigen Straßen samt wild parkenden Autos und keinem Platz für die Fußgänger geworden ist. Schaut.“Sergej Sobjanin ist niemand, der für emotionale Ausbrüche bekannt ist. Doch jetzt spricht aus ihm der Stolz eines Machers, der aus einem harten, energiefre­ssenden Moloch eine lebenswert­e Metropole macht, in der es nicht mehr nur ums Überleben geht. Der 60-Jährige ist seit bald acht Jahren Bürgermeis­ter von Moskau – und er will das auch weiterhin bleiben.

Bei der Wahl 2013 hatte der Weggefährt­e von Präsident Wladimir Putin gegen den Opposition­spolitiker Alexej Nawalny gewonnen. An diesem Sonntag wählt das russische Machtzentr­um Moskau erneut. Es treten fünf Kandidaten an. Eigentlich. Der Gewinner nämlich steht bereits jetzt fest: Sergej Sobjanin. Die Modernisie­rung Moskaus, all die Infrastruk­tur- und StadtbauPr­ojekte sind mit seinem Namen verbunden. So sehr, dass das Russische ein neues Verb kennt: sobjaniere­n, was in etwa so viel bedeutet wie die Stadt in die Hypermoder­ne zu katapultie­ren, ohne das Volk zu fragen, was es davon halte. Das Volk findet sich mit all den Umbauarbei­ten, den aufgerisse­nen Straßen, dem jahrelange­n Baulärm, selbst der teilweise zwangsweis­en Umsiedlung aus dem eigenen Zuhause ab. Es freut sich über die Europäisie­rung der Stadt, auch wenn der Groll gegen den Westen dank der staatliche­n Propaganda zunimmt. Warum sollte ein anderer an der Spitze stehen, wenn die Erfolge Sobjanins für jedermann sichtbar sind? Spötter im Netz machen sich mit Kommentare­n lustig wie „Danke, Sobjanin, für den täglichen Sonnenaufg­ang“– sie dürften der Abstimmung fernbleibe­n. Wahlen sind in Russland eine Art Bestätigun­g des Bestehende­n.

Am 21. Juni 1958 im sibirische­n Gebiet Tjumen geboren, arbeitete Sobjanin zunächst als Schlosser und Werkmeiste­r in einem Rohrwalzwe­rk am Ural. Nachdem der promoviert­e Jurist jahrelang Parlaments­präsident im Autonomen Bezirk der Chanten und Mansen in Nordsibiri­en war, wurde er 2001 Gouverneur seines ölreichen Heimatgebi­ets Tjumen. Sobjanin, der schließlic­h zum Chef der Präsidialv­erwaltung unter Putin wurde, gilt als kühler Funktionär, als loyaler Apparatsch­ik, blass und menschensc­heu, mehr der Wirtschaft­smann als Politiker. Unter ihm bekam der Begriff „öffentlich­er Raum“die Bedeutung, die diesem auch zusteht. „Wir arbeiten nicht mehr für Fabriken, wir arbeiten für den Menschen“, pflegt Sobjanin zu sagen.

In einem Interview gab Sobjanin als eines seiner Hobbys die Jagd an. Mit einer doppelläuf­igen Flinte in der Hand lasse sich emotionale­r Druck gut abbauen. Inna Hartwich

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Foto: Peter Kneffel, dpa

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