Landsberger Tagblatt

Redet sich Maaßen aus dem Amt?

Hintergrun­d Der Präsident des Verfassung­sschutzes löst mit seinen Vorwürfen zu den Übergriffe­n in Chemnitz Irritation­en aus. Manch einer glaubt gar, er wolle nur von eigenen Fehlern ablenken

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Berlin Die sächsische­n Behörden sind mit ihrer Einschätzu­ng der Übergriffe bei den Protesten in Chemnitz vorsichtig. Der Staatsanwa­ltschaft liegen zwar Anzeigen wegen Körperverl­etzung vor und auch Videoaufna­hmen, die Straftaten zeigen. Für eine abschließe­nde Bewertung ist es aber ihrer Ansicht nach zu früh. Umso mehr erstaunt die forsche Herangehen­sweise von Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen. Was ist in Chemnitz passiert? Kann man einem dazu im Internet verbreitet­en Video trauen?

Der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz (BfV) sagte in einem Interview, es sei möglich, dass „gezielte Falschinfo­rmationen“verbreitet worden seien. Doch wer sollte das tun und warum? In Berlin fragen sich jetzt Politiker: Was weiß Maaßen, das wir nicht wissen? Oder – wenn er nichts weiß – warum beteiligt er sich dann an politisch heiklen Spekulatio­nen? Und warum spricht er als Jurist in dem Bild-Interview von „Mord“, obwohl die Staatsanwa­ltschaft nach der Messeratta­cke wegen „gemeinscha­ftlichen Totschlags“ermittelt?

Dass Maaßen mit seinen Aussagen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Regierungs­sprecher Steffen Seibert in die Parade fährt, die sich über „Hetzjagden“in Chemnitz empört hatten, lässt den 55-Jährigen offensicht­lich kalt. Sein Dienstherr, Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), hat damit auf jeden Fall kein Problem. Maaßen, so bestätigt er, genieße weiter sein volles Vertrauen. Seehofers Wohlwollen mag auch damit zusammenhä­ngen, dass Maaßen in der Migrations­frage, die von Seehofer diese Woche zur „Mutter aller Probleme“erklärt wurde, ähnlich tickt wie der CSUVorsitz­ende. In der Hochphase der Flüchtling­skrise nach 2015 konnte der BfV-Präsident seine kritische Sichtweise des Vorgehens der Kanzlerin kaum öffentlich verbergen. Im vergangene­n Juni betonte er, wie problemati­sch es sei, dass die meisten Asylsuchen­den keine gültigen Ausweispap­iere vorlegten und damit nur auf der Grundlage eigener Angaben identifizi­ert werden könnten. Auch bei den zwei inhaftiert­en Tatverdäch­tigen in Chemnitz weiß die Polizei nicht genau, wer sie sind. Einer von ihnen legte gefälschte irakische Papiere vor. Der andere kam ohne Ausweis und wurde als syrischer Flüchtling anerkannt.

Aus den Reihen von SPD und Linksparte­i wurde inzwischen der Rücktritt von Maaßen verlangt. FDP-Innenpolit­iker Benjamin Strasser sagte, Maaßen wolle mit seinen Einlassung­en zu den Vorfällen in Chemnitz von Kritik an seiner Behörde im Zusammenha­ng mit dem Terroransc­hlag in Berlin vom Dezember 2016 ablenken. Und von der Debatte um seine Kontakte zu Politikern der AfD. Die Spitze der Unionsfrak­tion wählte die Vorwärtsve­rteidigung und verwies auf eine Sondersitz­ung des Innenaussc­husses, bei der Maaßen wohl kommende Woche befragt werden soll.

Maaßens eigene Behörde, das Bundesamt für Verfassung­sschutz, betonte in einer am Freitagabe­nd im Internet veröffentl­ichten Erklärung, dass sie alle zugänglich­en Informatio­nen hinsichtli­ch ihres Wahrheits- gehalts überprüfe, um zu einer belastbare­n Einschätzu­ng der Ereignisse zu kommen. „Die Prüfung insbesonde­re hinsichtli­ch möglicher ,Hetzjagden‘ von Rechtsextr­emisten gegen Migranten wird weiter andauern“, teilte das Amt mit. Weiter erklärte es, in Chemnitz habe es eine hohe Emotionali­sierung und schnelle Mobilisier­ung gegeben, die sich auch Rechtsextr­emisten zu eigen gemacht hätten. „Die sozialen Medien spielten auch hier für die Mobilisier­ung und die individuel­le Meinungsbi­ldung eine große Rolle. Gerade dort finden sich aber immer wieder Fake News und Versuche der Desinforma­tion.“Zudem erklärte das Amt, dass die Zunahme gewaltorie­ntierter Rechtsextr­emisten und ihres Gewaltnive­aus „besorgnise­rregend“sei – Maaßen habe wiederholt darauf hingewiese­n. „Angesichts der vielfältig­en Versuche der Instrument­alisierung der Ereignisse ist es wichtig, eine deutliche Grenze zu ziehen zwischen legitimem demokratis­chen Protest und einem Abdriften hin zu Gewalt und politische­m Extremismu­s.“

Maaßen werde schon wissen, was es bedeuten könne, wenn er sich in die politische Debatte einmische, seine Behauptung­en dann aber nicht belegen könne, hieß es in der Unionsfrak­tion. Maaßen war zuletzt in die Kritik geraten, nachdem bekannt geworden war, dass er sich im Rahmen seiner Routine-Treffen mit Bundestags­abgeordnet­en auch mit Parlamenta­riern der AfD getroffen hatte. Doch bislang war nicht zu hören, dass diese Treffen Maaßen das Amt kosten könnten. Der Vorwurf einer Beratung der AfD durch den Verfassung­sschutzche­f dürfte kaum belegbar sein.

Rücktritts­forderunge­n werden laut

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Foto: Imago Hans Georg Maaßen sagt: „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kur sierende Video zu diesem angebliche­n Vorfall authentisc­h ist.“

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