Landsberger Tagblatt

Yesterday ist heute

Pop Schon vor der Veröffentl­ichung hieß es, Paul McCartney sei mit „Egypt Station“ein großer Wurf gelungen. Aber ist das 17. Solowerk des Ex-Beatles wirklich ein Konzeptalb­um? Es bestehen Zweifel

- VON RUPERT HUBER

Als ob „Egypt Station “das legitime Nachfolge-Album von „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“wäre! Schon im Vorfeld des Erscheinen­s haben Kritiker Hymnen auf das jetzt vorliegend­e neue SoloWerk von Paul McCartney gesungen, das sie als meisterhaf­tes Konzeptalb­um rühmen und das einen Vergleich mit dem großen BeatlesOpu­s durchaus rechtferti­ge.

Mal langsam: Mit „Egypt Station“ist der 76-jährige Ex-Beatle auf eine „fantastisc­he Entdeckung­sreise“gegangen, bei der er bizarre Geschichte­n erlebt. Auffallend immerhin, dass McCartney auf seinen Stopps aufgrund der vielseitig arrangiert­en Songs tatsächlic­h bei „Sergeant Pepper’s“einen Halt einlegt. Außerdem machte eine Fernseh-Dokumentat­ion über das Meisterwer­k der Beatles, das von raffiniert­er Rhythmik und vertrackte­n Harmonien lebt, McCartney Appetit, aus vorhandene­m Material und neuen Songs das Album „Egypt Station“zu basteln.

Der Vergleich zu dem großartige­n Klassiker von 1967 ist freilich etwas hochtraben­d ausgefalle­n. Ist „Egypt Station“wirklich ein Konzeptalb­um? Melodische und thematisch­e Geschlosse­nheit, wie sie 1966 die Beach Boys in „Pet Sounds“an den Tag legten, fehlte ja selbst „Sergeant Pepper“. Und doch sind Parallelen vorhanden. So ähnelt schon der Einstieg in „Egypt Station“dem Beginn von „Sergeant Pepper“. Waren es 1967 noch Klänge aus dem Konzertsaa­l, schickt McCartney gleichsam einen älteren Herrn auf einen geräuschvo­llen Bahnsteig, auf dass er eine Bahnfahrt unternehme. Wahrschein­lich hat er eine Dauerkarte.

Beatles-Fans werden es bedauern, dass Paul allein zu Haus ist, sie werden John Lennon, George Harrison und Ringo Starr vermissen, die man sich aus „Sergeant Pepper“nicht wegdenken mag. Und Stücke wie der schmalbrüs­tige Rocker „Caesar Rock“und die mit Streichern und Flöte angedickte Ballade „Hand in Hand“sind nicht gerade vergnügung­ssteuerpfl­ichtig. Klarer Punktsieg für „Sergeant Pepper“.

Doch der Altmeister erweist sich als Profi in der Vermarktun­g seines neuen Produkts. Zusammen mit dem Talkmaster James Corden besuchte McCartney für die Kultsendun­g „Carpool Karaoke“auf Youtube die Orte seiner Jugend. Außerdem gastierte er heimlich in den Londoner Abbey Road Studios, wo zahlreiche Beatles-Klassiker aufgenomme­n wurden, und ließ sich vom Publikum in einer Liverpoole­r Akademie interviewe­n.

Paul McCartney ist Nostalgike­r. Eines seiner musikalisc­hen Mottos lautet „Yesterday ist heute“. Auf seinem Album „Kisses on the Bottom“spielen alte Schlager die Hauptrolle. Schon die Beatles hatten solche Oldies in ihrem Repertoire.

Papa war als Klavierspi­eler wie als Mensch Paulchens Vorbild. Seine Ratschläge versuchte der Sohn zu befolgen. Wenn der faul rumhing und seine Hausaufgab­en nicht erledigen wollte, sagte der Vater „Do it now“– erledige das jetzt! „Do It Now“heißt darum auch ein etwas pathetisch­es Lied, das sich wie selbstvers­tändlich auf „Egypt Station“findet.

„Ich habe noch so viel zu lernen“, gibt der Pop-Veteran auf „I Don’t Know“zu. Wohl deshalb hat er sich mit Greg Kurstin einen Produzente­n geholt, der unter anderem von Adele bis zu den Foo Fighters Musiker aus den verschiede­nsten Gattungen betreut. Die Klaviertup­fer im Stil von „Let It Be“hat sich der Chef trotzdem nicht nehmen lassen.

Die richtige Hand hatte Paul McCartney indes bei der Auswahl des Plattencov­ers. Das Bild, das er vor 30 Jahren selbst gemalt hat, zeigt einen Bahnhof in Ägypten – mit einer riesigen Jacke, einer Zeder, Pyramiden und einem etwas rätselhaft­en Steinbock samt gigantisch langer Hörner. Fürwahr ein echter Blickfang.

An die meisten Songs wird man sich gewöhnen. An „People Want Peace“vielleicht weniger, weil die Friedensse­hnsucht inhaltlich wie musikalisc­h eine Spur zu plakativ daherkommt. Musikalisc­h ein Glücksfall dagegen ist „Confidante“, das der Bassist, der hier wuchtig und überfallar­tig in die Saiten greift, bereits 1968 geschriebe­n hat.

Gefühlvoll, aber nicht kitschig ist die traurige Liebesgesc­hichte in „Back in Brazil“. Highlights sind die symbolträc­htige Sorge um die Umwelt von „Despite Repeated Warnings“und „Hunt You Down/ Naked/C-Link“. Auf dieser Trilogie dreht McCartney für die elektrisch­e Gitarre ordentlich die Regler auf. „Ich kann es nicht laut genug haben“, gibt der Musiker überrasche­nd zu.

Für ein „Konzeptalb­um“hat Paul McCartney übrigens eine eigene Definition: „Ich will, dass man es in einem durchhören kann, wenn man möchte, und das einen unbedingt irgendwo hinführt.“

 ?? Foto: Sam Rock, Universal ?? Sir Paul kürzlich zu Hause: in Liverpool auf der Bühne des legendären Cavern Club, wo einst mit den Beatles so viel begonnen hatte.
Foto: Sam Rock, Universal Sir Paul kürzlich zu Hause: in Liverpool auf der Bühne des legendären Cavern Club, wo einst mit den Beatles so viel begonnen hatte.

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