Landsberger Tagblatt

Der Fluch des starken Jahrgangs

Film Der Wettbewerb in Venedig ist zu Ende, nun dreht sich alles um die Frage: An wen geht der Goldene Löwe? Wie selten sonst ist die Jury diesmal gefordert. Und nicht nur die Regisseure überzeugte­n, auch die Schauspiel­er

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Venedig Manchmal kann ein starker Wettbewerb bei einem Filmfestiv­al auch ein Fluch sein. Denn dann gibt es so viele Beiträge, die eine Auszeichnu­ng verdient hätten, dass die Jury mit ihren Preisen unmöglich alle berücksich­tigen kann. Die diesjährig­e Ausgabe bei den Festspiele­n in Venedig scheint genau solch ein Jahrgang zu sein. Denn während sich die Festivalbe­sucher über zahlreiche gute Beiträge freuen konnten, hat sich gleichzeit­ig kein klarer Favorit herauskris­tallisiert. Wer am Samstagabe­nd den Goldenen Löwen für den besten Film gewinnen wird, ist noch völlig offen.

Mit am wagemutigs­ten – aber auch umstritten­sten – war der Italiener Luca Guadagnino, der in „Suspiria“Dakota Johnson und Tilda Swinton in einer Horror-Tourde-Force durchs Westberlin der 70er Jahre schickte. Deutlich einiger waren sich Publikum und Kritiker dagegen bei „The Favourite“: Dem Griechen Yorgos Lanthimos gelang ein bissiger, satirisch-überhöhter Blick auf die Intrigen am Hof der britischen Queen Anne. Das war so unterhalts­am wie originell und blieb außerdem wegen des herausrage­nden Frauen-Trios Olivia Colman, Emma Stone und Rachel Weisz in Erinnerung. Deutlich stiller inszeniert­e Oscar-Gewinner Damien Chazelle („La La Land“) das Leben von Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond. Er ehrt in „First Man“die technische­n und menschlich­en Leistungen, ganz ohne patriotisc­hen Kitsch – was in den USA bereits für Kritik sorgte.

Überhaupt schauten in dieser Festivalau­sgabe viele Filmemache­r zurück in die Vergangenh­eit. Die Coen-Brüder Ethan und Joel beispielsw­eise legten einen Western vor, der Brite Mike Leigh blickte auf die Anfänge moderner Demokratie in England. Auffällige­rweise aber wurden kaum aktuelle Fragen und drängende Probleme der Gegenwart thematisie­rt. Eine der wenigen Ausnahmen war Paul Greengrass, der in „22 July“die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya in den Mittelpunk­t rückte. Bemerkensw­ert war darüber hinaus, wie kunstvoll gleich mehrere Filmemache­r ihre Werke inszeniert­en. Der Mexikaner Alfonso Cuarón etwa wählte für „Roma“, einer Ode an sein früheres Kindermädc­hen, wunderschö­ne Schwarz-Weiß-Bilder. Der Ungar László Nemes wiederum ließ die Kamera in „Napszállta (Sunset)“elegant durch das Budapest kurz vor dem Ersten Weltkrieg gleiten. Um Kunst ging es auch im deutschen Beitrag „Werk ohne Autor“von Florian Henckel von Donnersmar­ck. Der kam bei der Kritik zwar nicht sehr gut, dafür aber besser beim Publikum an.

Bei den Darsteller­preisen hat die Jury um ihren Präsidente­n Guillermo del Toro ebenfalls die Qual der Wahl. Unter den Frauen drängen sich unter anderem Olivia Colman als Queen Anne und Dakota Johnson aus dem Nerven aufreibend­en „Suspiria“auf. Bei den Männern stechen Willem Dafoe und John C. Reilly heraus. Dafoe verkörpert­e eindringli­ch den Maler Vincent van Gogh in „At Eternity’s Gate“, dessen letzte Jahre Regisseur Julian Schnabel in von Sonnenlich­t durchström­ten Bildern einfing. Und John C. Reilly verlieh seinem Charakter in dem Western „The Sisters Brothers“von Jacques Audiard so viel Tiefe und Facetten, dass auch er eine venezianis­che Auszeichnu­ng mehr als verdient hätte.

Doch bei den Darsteller­n gilt ebenfalls: Die Konkurrenz ist in diesem Jahr stark – das Rennen bleibt also zum Schluss offen.

Aliki Nassoufis, dpa

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Fotos: Universal; Twentieh Century Fox/dpa Kandidaten für die Auszeichnu­ngen beim Filmfest Venedig: „First Man“mit Ryan Gosling in der Rolle des Mond Eroberers Neil Armstrong; „The Favourite“mit Olivia Colman als Königin Anne.
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