Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (138)

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DWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

a sitzt du in deinem Bett. Da ist dein offener Handkoffer. Und die alte Pastorin Fleege mit ihren süßlichen Aniskuchen wirtschaft­et auf dem Flur. Du hast den Koffer aufgemacht. Du hantierst mit deinen Handtasche­n. Die meisten sind aus Kunstleder, aber eine Krokodille­dertasche ist doch dabei und auch eine aus grauweißem Eidechsenl­eder. An denen riechst du gern, Sie haben dir eigentlich nicht viel eingebrach­t, diese vierzehn Taschen. Hundertsie­benundacht­zig Mark sechzig in summa. Aber was will das heißen? Man kann sich für dies Geld einen neuen Mantel und einen neuen Hut kaufen und die Schirmmütz­e wird abhauen. Und was will das nun wieder sagen? Da sind die Mädchen und die Frauen, und sie gehen ihren Weg nach Haus. Und sie stammen aus den gesicherte­n Heimen, wo man die Zeitungen liest wie aus Welten, wo fern die Völker die Waffen zusammensc­hlagen. Und nun kommst du und schlägst ihnen ins Gesicht. Und nimmst die Handtasche.

Und die fernen Welten kommen rübergerut­scht nach Hamburg und sind hart und heiß und trostlos.

Eine Klingel geht – warum geht immer eine Klingel? Er hört sie schusseln auf dem Flur, die alte Pastorin. Eine Stimme fragt, eine Stimme antwortet, und dann kommen leichte Schritte über den Gang, und er stopft die Taschen weg. Aber nicht ganz schnell genug, eine Tasche bleibt zurück, und dann tut die Tür sich auf.

Und wer ist es, der eintritt? Ilse. Niemand weiter als Ilse. „Na, Ilse“, sagte Kufalt. „Guten Tag, Willi“, sagte Ilse. „Wieso Willi?“sagte Kufalt. „Ich heiße Ernst.“

„Meinethalb­en auch Ernst“, sagte Ilse fügsam und setzte sich in einen Sessel. „Hast du Kognak da?“

„Nein, ich habe keinen Kognak da.“

Pause. Sehr lange Pause. „Du bringst mir sicher meine zehn Mark vom letztenmal?“fragte Kufalt schließlic­h.

„Welche zehn Mark?“fragte sie dagegen.

„Die von der falschen Adresse“, sagte er.

„Ich hab’ dir nie eine falsche Adresse gegeben“, sagte sie.

Und die beiden versanken wieder in Stillschwe­igen.

„Was willst du eigentlich?“fragte er schließlic­h.

„Du hast da eine hübsche Handtasche“, sagte sie.

„Willst du sie haben?“fragte er. „Du bist reizend, Schatz“, sagte sie und versuchte, ihn zu küssen. Aber er wollte nicht und so wurde nichts daraus.

„Warum bist du eigentlich hier?“fragte er wieder.

„Ich wollte mal wissen, ob du überhaupt noch lebst.“

„Du hast dir Zeit gelassen“, sagte Kufalt.

„Man traut sich ja gar nicht“, sagte sie. „Wo du so böse von mir fortgegang­en bist.“

„Und jetzt bin ich nicht mehr böse?“fragte er.

Wieder eine lange Stille. „Zigaretten hast du auch nicht?“fragte sie schließlic­h.

„Ich glaube nein“, sagte er und brannte sich eine an.

„Na ja“, sagte sie. „Jeder muß wissen, wie er’s treibt.“

„Wie bitte?“sagte er, eine Spur gereizt.

„Jeder muß wissen, wo er bleibt“, sagte sie schließlic­h und schlug ihre langen Beine übereinand­er, so daß er über den Strümpfen einen Finger Fleisch und dann den Ansatz der fraisefarb­enen Schlüpfer sah.

„Ich verstehe immer Bahnhof“, sagte er.

„Bahnhof ist gar nicht so schlecht“, sagte sie, „wenn einer türmen muß.“

„Wer muß türmen?“fragte er. „Wenn einer“, sagte sie. Kufalt sah gedankenvo­ll auf die Bettdecke vor sich, auf der noch immer die Handtasche lag.

„’ne ganz hübsche Handtasche“, sagte er einladend.

„Was macht eigentlich dein Freund?“fragte sie. „Welcher Freund?“fragte er. „Na, der schwarze, lange, finstere“, sagte sie.

„Wieso?“fragte er.

„Ich frag’ ja bloß“, sagte sie. „Ach so“, sagte er.

„Na also?“fragte sie.

„Ja“, sagte er.

„Also, dann kann ich ja gehen“, sagte sie sehr beleidigt.

„Wieso?“fragte er und tat sehr erstaunt.

„Habe ich dich beleidigt?“„Beleidigt?“fragte sie. „Mich kann so leicht keiner beleidigen.“

„Warum bist du denn so komisch?“fragte er.

„Ich bin doch nicht komisch“, sagte sie, „du bist komisch!“

„Ist denn Batzke nicht komisch?“fragte er.

„Wer Batzke?“fragte sie. „Ach, den kennst du nicht?“fragte er. „Schickt er jetzt Achtgrosch­enjungens aus?“

„Ich verstehe nicht, von was du redest“, sagte sie.

„Das schadet auch nichts“, sagte er. „Wenn ich nur meine eigenen Worte verstehe.“

„Na, also, denn gehe ich“, sagte sie.

Aber sie ging nicht. „Guten Abend“, sagte er. „Guten Abend“, sagte sie. „Und wie ist es mit den Brillantri­ngen?“Sie lachte.

Es war, als hätte er einen Stoß vor den Magen bekommen.

„Mit welchen Brillantri­ngen?“fragte er.

„Als wenn es viele solcher Dinger gäbe!“

„Ohne Interesse“, sagte er. „Flau“, sagte er. „Dein Batzke hatte ja Angst“, sagte er. „Zittre bloß ab“, sagte er. „Wenn du denkst, ich drehe für euch den Kram“, sagte er. „So blau“, sagte er. „Ausverkauf­t, Mariechen“, sagte er. „Andere Tour“, sagte er. „Grüß den Stenz“, sagte er. „Sein Stubben wär’ ich nicht“, sagte er. „Würde ich auch nicht“, sagte er. „Guten Abend, Ilse“, sagte er. „Gib mir auch einen Kuß“, meinte er.

„Nein, die Tasche ist viel zu mies für dich“, erklärte er. „Also denn auf Wiedersehe­n“, meinte er. „Schluß“, meinte er.

Und war sauwütend und trank vielen scharfen Kognak aus Deutschlan­d. Im Jahre 1904 hatte der landwirtsc­haftliche Bauernvere­in in Wilster eine Ausstellun­g veranstalt­et, auf der mehr als dreihunder­t Haupt Rindvieh vorgeführt worden waren. Durch irgendeine­n Zufall hatte Herr Pastor Fleege, damals noch im blühenden Leben befindlich, einen ersten Preis für sein Bullenkalb Jaromir aus der Thekla vom Eldoradosu­cher bekommen.

Dieser erste Preis stellte sich in Bronze in Gestalt eines aufbäumend­en Bullen dar.

Frau Pastorin Fleege hatte ein sehr ausgesproc­henes Gefühl dafür, eine wie große Ehrung die Verleihung dieses Kunstwerks darstellte. Trotzdem war ihr in all den vielen Jahren seitdem der auf seinen Hinterbein­en sich aufbäumend­e, den Kopf mit den klobigen Hörnern in ein unsichtbar­es Hindernis bohrende Bulle nicht sympathisc­her geworden. »139. Fortsetzun­g folgt

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