Der Tag, als „Anna 2“in sein Leben trat
Perspektive Der Herrschinger Andreas Wild fliegt den größten Doppeldecker der Welt, eine Antonow 2. Er musste den Oldtimer persönlich in Afrika abholen. Wer möchte, kann mit ihm den Ammersee von oben erkunden
Herrsching Muss man tollkühn sein, einen inzwischen 60 Jahre alten Doppeldecker von Afrika bis nach Bad Wörishofen zu fliegen? Muss man nicht. Aber es gehört Liebe dazu, Liebe zur Fliegerei und ein Hang zur Nostalgie, eine goldene Ära der Luftfahrt tagtäglich nacherleben zu dürfen. Der Herrschinger Andreas Wild genießt dieses Privileg, als einer der wenigen, die einen der größten Doppeldecker der Welt, die Antonow 2, nicht nur zu besitzen, sondern auch zu fliegen, dürfen. Dabei hatte Andreas Wild eigentlich schon eine Antonow. „Ein Bekannter schenkte mir mal zum 40. Geburtstag ein kleines Flugzeugmodell.“Das war 2001. Die erste Antonow 2 stand also im Haus des gebürtigen Münchners, der über Kaufbeuren, Kempten zunächst nach Wessling gekommen war.
Von da aus ist es nach Oberpfaffenhofen nicht so weit und dort war Wild während seines Studiums der Elektrotechnik Teil der dortigen Flugsportgruppe der DLR. „Das waren alles Wissenschaftler“, erinnert er sich. 1999 tauchte dann zum ersten Mal die Frage auf, ob er nicht Fluglehrer werden wollte. Für Wild war das „eine weitere Komponente der Sinnhaftigkeit“.
Und nur zwei Jahre später war es soweit: Anna trat in sein Leben. Anna, das ist die Antonov AN-2, eine 1958 gebaute – Andreas Wild ist Jahrgang 1961 – Flugmaschine mit einem legendären 9-ZylinderSternmotor, 1000 PS und einer Fluggeschwindigkeit von 180 Stundenkilometern. Wie langsam dies aber doch eigentlich sein kann, sollte er am eigenen Leib erfahren, als er 2004 den Auftrag bekam, eine Antonow, die in Afrika für die Gesellschaft Classic Wings (NordrheinWestfalen) eingesetzt war, nach Deutschland zurückzuholen. „Das 10500 Kilometer entlang einer alten Postroute.“Zuvor hatte sich Andreas Wild bereits ganz der Fliegerei verschrieben. Der neue Markt war zusammengebrochen, als freischaffender Programmierer sah er keine große Zukunft. Die generelle Einweisung auf einer Antonow, dem „russischen Urviech“, erhielt er am Neusiedler See. „Ich saß plötzlich in dem monströsen Cockpit mit vielen Schaltern, Uhren und – vor allem kyrillischen Schriftzeichen.“Andreas Wild notierte sich auf einem Din-A 4-Blatt alle wichtigen, elementaren Dinge und dann ging’s los. Der inzwischen erfahrene Flieger war überwältigt: „Du sitzt in vier Metern Höhe und bewegst fünf Tonnen sanft und behutsam.“
Noch stand die Anna 2 aber in Afrika. Mit LTU dauerte der Hinflug nach Windhoek (Namibia) neun Stunden, bequem in der Passagierkabine. Der Rückflug war dann 60 Flugstunden lang, vorne im Cockpit sitzend, verantwortlich für sich, die Crew und zwei Fluggäste, die das Abenteuer mitmachen wollten. Was er schnell lernte: Afrika hat seine eigenen Gesetze. Schon in Livingston, bei den Victoriafällen, wollte er tanken. Kein Benzin verfügbar. Erst am nächsten Tag kam der Spritlaster. Der Zeitplan war durcheinander und damit auch sämtliche Genehmigungen. Die Zeit konnte Wild zwar wieder aufholen, den Fluggästen jedoch wurde es zuviel. „In Nairobi sind sie während der Flugzeugwartung ausgestiegen und waren raus“, erinnert sich der Pilot lachend. Was ihn jedoch weiter begleitete, war die Ungewissheit: wie komme ich an Sprit? Die Antowaren now fliegt mit richtigem Benzin, nicht mit Kerosin. „Wir waren also auf den Flugplätzen der Exot.“Sogar auf Treibstoff einer christlichen Mission griff der Herrschinger Flieger zurück.
Weniger christlich entpuppte sich die Lage im Sudan. Wegen der dortigen politischen Unruhen wurden immer wieder Flugzeuge von Rebellen beschossen. „Wir schafften also so viel Sprit an Bord, wie es ging.“Der Nachteil: Die Antonow flog wie ein nasser Sack – und blieb in Schussweite. Doch das Wetter meinte es gut. Es hatte die Nacht über geregnet und die Wolken hingen tief. „Ich bin echt kein Draufgänger, aber unsere schwangere Auster wurde mit zunehmender Flugdauer leichter und stieg, bis wir außer Schussweite waren.“Dann war der schwarze Kontinent Vergangenheit. Der Rest des Fluges über Kreta, Albanien und Dubrovüber nik war Entspannung pur. Noch einmal Afrika? „Never ever“versichert Andreas Wild. Als er in Oberpfaffenhofen landen durfte („meine fliegerische Heimat“), war das Glücksgefühl groß. Freunde aus Wessling, Mitglieder der Flugsportgruppe, alle waren sie gekommen, um ihn und seine Crew zu begrüßen.
Seit 2011 gibt es nun die Classic Wings Bavaria, die Antonow AN-2 wartet im beschaulichen Bad Wörishofen auf ihre Fluggäste. Nicht Afrika, sondern das Fünf-SeenLand und die heimischen Berge sind Ziele der Nostalgieflüge, die Andreas Wild und Christian Zeus, ebenfalls Berufspilot, anbieten. Und sollte jemand Flugangst bekommen, kein Problem: „Bei uns ist alles offen und die Leute können ins Cockpit kommen.“Dort sehen sie dann: alles ist ruhig, die Instrumente und der Pilot auch. Gelassenheit, die man in Afrika lernt.
Treibstoff bei einer christlichen Mission besorgt