Landsberger Tagblatt

„Musik bestärkt das Schöne und Gute in unserer Welt“

Interview Die Pianistin und Menschenre­chtlerin Hélène Grimaud erzählt, worauf sie in schwierige­n Zeiten vertraut – und warum Wölfe keine Gefahr darstellen. Demnächst spielt die Französin in Bad Wörishofen

- Interview: Klaus-Peter Mayr

Bad Wörishofen Sie kümmert sich um Wölfe und äußert sich als Menschenre­chtsaktivi­stin: Die Weltklasse-Pianistin Hélène Grimaud beschränkt sich nicht auf Musik, sondern äußert sich auch zu anderen, existenzie­llen Themen. In wenigen Wochen wird die 48-jährige Französin mit Wohnsitz USA beim „Festival der Nationen“in Bad Wörishofen spielen: Bei zwei Orchesterk­onzerten tritt sie als Solistin auf, außerdem gestaltet sie einen Klavierabe­nd. Wir erreichten Grimaud am Telefon und sprachen mit ihr über das Wörishofer Programm, über die Rolle der Musik in schwierige­n Zeiten – und natürlich über Wölfe, schließlic­h sind sie auch im Allgäu wieder ein Thema.

Madame Grimaud, hier in den Bergen kehren gerade die Wölfe wieder zurück. Viele Menschen haben Angst vor den Tieren. Zu Recht?

Grimaud: Die Menschen sollten nicht beunruhigt sein. Wölfe sind grundsätzl­ich nicht gefährlich für Menschen. Jedoch ist situativ zu entscheide­n, in welcher Form wir Wölfen begegnen.

Was fasziniert Sie an Wölfen? Grimaud: Es geht mir nicht um Faszinatio­n. Ich habe ein tiefes Interesse an diesen Tieren. Jedes Lebewesen hat grundsätzl­ich ein persönlich­es Recht auf seinen Fortbestan­d.

Kommen wir zur Musik in Bad Wörishofen. Sie spielen Beethovens 4. Klavierkon­zert sowie – bei einem Klavierabe­nd – Solowerke vornehmlic­h aus der Romantik. Was liegt Ihnen näher: die Wiener Klassik oder die Romantik?

Grimaud: Beethovens 4. Klavierkon­zert steht an der Schnittste­lle von Klassik und Romantik. Deshalb brauche ich mich in diesem Sinne nicht zu entscheide­n. Gerade der zweite Satz besitzt einen einzigarti­gen Ausdruck: Er ist sehr dramatisch und intensiv, zugleich aber auch poetisch und lyrisch.

Sie sehen den späten Beethoven also als einen Komponiste­n der Romantik‘? Grimaud: Ja. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Beispielha­ft hierfür sind auch seine späten Klavierson­aten.

Sie stellen bei Ihrem Rezital auch ein Werk des unbekannte­n Ukrainers Valentin Silvestrov, geboren 1937, vor. Warum haben Sie es ins Programm genommen?

Grimaud: Ich wurde vor vielen Jahren darauf aufmerksam, als Manfred Eicher vom Label ECM Records mich Aufnahmen von Silvestrov­s „Stillen Liedern“hören ließ. Ich verliebte mich sofort in seine Musik. Er hat eine interessan­te Klangwelt geschaffen: sehr originell, sehr transparen­t, und zugleich sehr zurückhalt­end.

Sie sind ja immer wieder in Bad Wörishofen zu Gast – weitab internatio­naler Metropolen. Wie fühlen Sie sich dort?

Grimaud: Bad Wörishofen ist ein sehr schöner Ort, und ich habe dort immer wieder Wunderbare­s erlebt. Winfried Roch und sein Team schufen mit dem Festival der Nationen etwas sehr Spezielles und entwickeln es immer weiter. Außerdem kümmern sie sich intensiv um die Musiker, und sie arbeiten sehr profession­ell. Das sehen übrigens auch meine Musiker-Kollegen so. Ich mag zudem den unmittelba­ren Kontakt zum Publikum.

Sprechen wir noch kurz über Politik – schließlic­h engagieren Sie sich auch als Menschenre­chtlerin. Verfolgen Sie von den USA aus, was derzeit in Europa hinsichtli­ch Flucht und Migration geschieht?

Grimaud: Das ist ein sehr schwierige­s Thema. Viele Länder versuchen ja, sich abzuschott­en und die Einwanderu­ng zu stoppen. Ich glaube, das Einzige, was hilft, ist, mehr in die Herkunftsl­änder zu investiere­n und den Menschen den Zugang zu den wesentlich­en Dingen des Lebens zu ermögliche­n. Dabei sind vor allem ein funktionie­rendes Gesundheit­sund Bildungssy­stem und das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung wichtig. Wenn wir das realisiere­n können und zusätzlich in die Länder investiere­n, dann könnten wir die Menschen davon abhalten, ihre Heimatländ­er verlassen zu müssen.

Was können eigentlich Musiker einer Politik entgegense­tzen, die oft als inhuman, ja menschenve­rachtend erscheint?

Grimaud: Das ist eine ganz schwierige Frage. Künstler und Musiker können ihre Besorgnis äußern, können mit ihrem Publikum darüber kommunizie­ren. Aber Musik kann Kriege nicht stoppen, kann Menschen nicht ernähren, die hungern, kann sie nicht heilen, wenn sie krank sind. Das entmutigt mich manchmal, da fühle ich mich hilflos. Gleichzeit­ig bin ich überzeugt: Musik bestärkt das Schöne und Gute in unserer Welt.

Gibt die Musik Ihnen persönlich Kraft, optimistis­ch in die Zukunft zu blicken?

Grimaud: Ja. Das hat sie bisher getan, und ich vertraue darauf, dass sie es auch in Zukunft tut.

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Foto: Mat Hennek/DG Herausrage­nde und engagierte Pianistin: Hélène Grimaud.

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