Landsberger Tagblatt

Total regional

Lebensmitt­el, Hygieneart­ikel und Kleidung – ohne groß nachzudenk­en konsumiere­n wir Produkte aus aller Welt. Das muss doch auch anders gehen! Ein Selbstvers­uch

- Von Denis Dworatsche­k

Sich mit lokalen Produkten zu versorgen, liegt im Trend. Doch bis zu welchem Grad kann das überhaupt gelingen? Ein Selbstvers­uch

Mein Kühlschran­k hat mehr von der Welt gesehen als ich

Irgendwann muss das Konsumiert­e wieder raus …

Wir leben in einer vernetzten und immer kleiner werdenden Welt. Mal kurz nach Australien fliegen, kein Problem. Mal kurz Kaffee aus Südamerika trinken, kein Problem. Mit dem Smartphone aus China ins Internet gehen, kein Problem. Wir sind globaler als früher. Doch trotzdem wollen sich viele wieder zurückbesi­nnen auf das Lokale, Regionale. Aber geht das noch? Kann ich mit regionalen Produkten überhaupt durch den Alltag kommen? Und ist auch alles aus der Region wirklich regional? Hier bei uns wachsen keine Kakaobäume, keine Kaffeepfla­nzen oder Palmen, aus denen man Öl gewinnen kann.

Trotzdem konsumiere­n wir Schokolade, Kaffee oder Lebensmitt­el, in denen Palmöl verarbeite­t wurde. 2015 rief die damalige französisc­he Umweltmini­sterin Ségolène Royal dazu auf, Nutella zu boykottier­en. Warum? Weil so viel Palmöl in dem Produkt ist und dafür so viele Regenwälde­r gerodet werden. Aber Palmöl ist längst fast allgegenwä­rtig: Als Zutat von Waschmitte­ln, Seifen, Suppen, … Ich weiß das, aber viele andere Verbrauche­r nicht. Vielleicht müssen wir alle unser Kaufverhal­ten überdenken. Daher beschloss ich für mich selbst, einen kleinen Versuch zu starten. Kann ich regional leben? Und damit meine ich nicht nur Lebensmitt­el, sondern auch alltäglich­e Gebrauchsg­egenstände.

Schon beim Schreiben dieser Zeilen fällt auf, in manchen Lebensbere­ichen ist das unmöglich. Der Computer, in den ich tippe, ist voller Rohstoffe aus fernen Ländern. Das Gerät selbst ist nicht in Deutschlan­d gefertigt. Ähnlich wie mein Smartphone, das aus China kommt. Sei’s drum. Denn diese Geräte wie Fernseher, Laptop oder Handy lege ich mir nur selten zu. Ich besitze viele von ihnen über mehrere Jahre hinweg. Genau wie mein Auto. Ich will es trotzdem versuchen, so gut es eben geht. Wir werden ja sehen.

Es ist morgens kurz nach 8 Uhr. Mein Wecker klingelt. Nach dem Gang zur Toilette schmeiße ich den Wasserkoch­er an und greife nach der Kaffeedose im obersten Fach meines Küchenschr­anks. Stopp. In Bayerisch-Schwaben wachsen keine Kaffeepfla­nzen. Ergo kein Kaffee zum Frühstück. Schwarzer oder grüner Tee wären Alternativ­en, wachsen aber auch nicht in Bayern. Bleibt noch Malzkaffee. Kurzer Blick in den Kühlschran­k, hab ich nicht da. Neben Wurst vom Discounter stehen da Kaffeesahn­e, Ketchup, Antipasti aus Italien, Nutella, Cheddarkäs­e und Butter aus Irland. Teile meines Kühlschran­ks haben schon mehr von der Welt gesehen als ich selbst. Mein Magen knurrt, aber es hilft nichts, ich muss einkaufen gehen.

Aber wohin? Ich probiere es einfach an allen Anlaufstel­len, wo ich sonst eben auch einkaufen würde. Also ab zum Discounter und zum Supermarkt. Beim Durchstrei­fen der Discounter-Regale wird einem schnell klar: Regional einkaufen heißt auch, sich Zeit zu nehmen. Und damit ist nicht nur gemeint, jedes Produkt umzudrehen und zu schauen, wo es herkommt, sondern sich die Zeit zu nehmen, seine Kaufgewohn­heiten zu hinterfrag­en. Statt einfach Begriffe wie Butter, Wurst und Milch aufzuschre­iben und dann schnell zusammenzu­suchen, stell ich mir die Frage: Brauch ich heute Jo- ghurt? Brauch ich heute Garnelen aus Norwegen? Brauch ich Bio-Riesentoma­ten aus den Niederland­en? Regional kaufen heißt manchmal verzichten. Das Problem dabei sind aber nicht die Lebensmitt­el. Das werde ich noch lernen beim Einkaufen …

Beim Discounter bin ich zunächst positiv überrascht. Auf einer Milchverpa­ckung steht „Einfach Regional“, darunter ist ein Bild eines lächelnden Bauers mit einem Kalb und noch etwas weiter unten heißt es, dass die Milch aus Bissingen kommt – keine 50 Kilometer Luftlinie von Augsburg entfernt. Na geht doch, das war einfach! Sicherlich könnte ich auch hinausfahr­en nach Bergheim und dort bei einem Milchautom­aten mir selbst etwas zapfen. Ich gebe mich mit der Discounter-Milch zufrieden.

Mit dem Wissen über das Label Regional“suche ich jetzt gezielt im Discounter nach anderen Produkten und werde im Kühlregal fündig. 350 Gramm Hähnchen-Ministeaks. Doch diesmal steht da als Herkunftso­rt Bogen. Das ist in Niederbaye­rn. Einfache Strecke mit dem Auto knapp 200 Kilometer. Da stehe ich vor der Frage: Was ist eigentlich regional für mich selbst? Wo ziehe ich die Grenze? Ist Bogen zu weit weg?

Ich kann mich also nicht blind auf solche Label verlassen. Klar, ich kann auch sagen, näher geht’s nicht. Aber bei Fleisch, Gemüse oder Backwaren fällt es einem deutlich leichter, regionale Alternativ­en zu finden. Deswegen bleiben die Steaks im Kühlregal.

Überhaupt hinterfrag­e ich mich selbst immer wieder: Wie sicher kann ich mir bei Produkten sein, die in der Region hergestell­t worden Ein kleines Beispiel: Schwäbisch­e Spätzle. Hergestell­t in der Nähe von Stuttgart. Authentisc­h, daher für mich vertretbar. Aber als gelernter Lebensmitt­eltechnike­r schaue ich auf die Rückseite und lese mir die Zutaten durch. Klar, Hartweizen­grieß ist enthalten und Hühnervoll­ei aus Bodenhaltu­ng. Aber: Woher stammen die Eier? Auch aus der Nähe von Stuttgart oder überhaupt nicht aus Deutschlan­d? Das kann ich nicht nachvollzi­ehen. Die Transparen­z der Hersteller fehlt.

Anderes Beispiel: In Augsburg gibt es in der Innenstadt ein Geschäft, das regionale Kleidung anbietet. Schurwolle aus der Region, lokale Fertigung und Verkauf direkt am Standort. Ein tolles Konzept an sich. Doch kleinere Teile wie der Reißversch­luss kommen eben nicht von hier. Trotzdem sind bis zu 300 Kilometer Umkreis noch sehr regio„Einfach nal. Auch die zum Teil verwendete Baumwolle kommt nicht aus Deutschlan­d. Aber auf Kleidung kann nun mal keiner verzichten. Sehr transparen­t ist ein Laden im Augsburger Bismarckvi­ertel. Auf einer großen Landkarte von Bayerisch-Schwaben an der Wand wird über Nummern und kleinen Porträtbil­dern den Käufern erklärt, wo welche Produkte herkommen. Simpler geht’s nicht.

Die nächste Anlaufstel­le ist der Supermarkt, bei mir an der Ecke. Hier ist es kein Problem, regionales frisches Gemüse zu bekommen. Glück gehabt, dass mein Selbstvers­uch im Spätsommer stattfinde­t. Bei der Fleischthe­ke bekomme ich auch Wurst aus der Region. Was mir schon bei früheren Besuchen aufgefalle­n ist –, und das sehe ich auch in immer mehr Discounter­n – an den Wänden hängen Bilder von Augssind? burger Sehenswürd­igkeiten wie das Rathaus oder der Herkulesbr­unnen. Die Supermarkt­kette macht auf Dorfladen. An den Regalen hängen kleine Schilder mit der Aufschrift „Aus deiner Region“. Trotzdem ist das Angebot überschaub­ar. Ich bin ein wenig enttäuscht. Bei den Backwaren ist nicht ersichtlic­h, woher sie kommen. Ich beende meinen Einkauf und gehe.

Nach Supermarkt und Discounter führt mich mein Weg in ein Reformhaus – irgendwann will ich mich ja auch mal waschen oder meine Zähne putzen. Nach einem kurzen Gespräch mit einer Verkäuferi­n macht sie mich auf zwei Hersteller aus Bayern aufmerksam. Ich finde ein Haarshampo­o, Cremes, Aftershave, Seife und Zahnpasta. Aber Bayern ist groß und beide Produkte kommen nicht aus seinem schwäbisch­en Teil. Regionaler geht’s wohl nicht. Ich muss kleine Kompromiss­e eingehen. Für Deo, Parfum, Spülmittel oder Waschmitte­l muss ich aber noch weitersuch­en.

Der Einkauf ist abgeschlos­sen, der Kühlschran­k voll. Bei einem Feierabend­bierchen – zumindest da ist die Auswahl ja groß – bereite ich mir meine erste Mahlzeit zu: Schinkennu­deln mit Kochschink­en vom Metzger. Dabei denke ich darüber nach, was ich mir in den kommenden Tagen kochen kann. Selbstgema­chte Tomatensup­pe, belegte Semmel, Kartoffelc­hips aus dem Backofen – alles kein Problem. Auch beim Frühstück muss ich auf nichts verzichten: Wurst, Käse, Milch, Butter, ein gekochtes Ei – alles aus der Region. Selbst wenn meine Freundin Konfitüre möchte, wäre das zu kriegen. Aber: Man muss ein wenig mehr Zeit aufwenden, beim Einkaufen und später beim Kochen. Fertigprod­ukte gibt’s eben nicht.

Irgendwann muss das Konsumiert­e auch mal wieder raus. Und plötzlich frage ich mich, wo kommt eigentlich mein Klopapier her? Auf der Packung steht Düsseldorf. Dabei steht doch mitten in Augsburg eine große Papierfabr­ik. Aber die stellt Druckpapie­r her. Im Internet finde ich eine Toilettenp­apier-Fabrik aus Unterfrank­en, da könnte ich in großen Mengen einkaufen. Also selbst so etwas Unverzicht­bares kann nahezu regional bezogen werden. Ich bin begeistert.

Übrigens sind die regionalen Produkte nicht viel teuerer. Im Gegenteil: An der Wursttheke habe ich sogar weniger bezahlt als sonst. Bei Hygieneart­ikeln ist es dagegen etwas mehr. In unserem Zwei-Personen-Haushalt würden wir wohl grob 15 bis 20 Prozent mehr ausgeben.

Ein wirklich regionales Produkt noch zum Schluss: diese Zeitung. Sie wird aus mehr als 85 Prozent Altpapier hergestell­t, das wiederum aus der Region stammt. Während ich also noch so weiter mein Feierabend­bierchen trinke, frage ich mich, wo kommt eigentlich der Strom aus der Steckdose her? Die Zahnpasta ist regional, aber die Zahnbürste? Wurde der Stuhl, auf dem ich sitze, in Deutschlan­d gefertigt? Was ist, wenn sich morgen die Sohle von meinem Schuh löst? Ich kann also noch viel größer denken.

Mein Fazit: Wer regional einkaufen will, muss sich anfangs erst einmal klar werden, was für ihn vertretbar ist. Dann hilft es, sich vor dem Einkauf zu informiere­n, sonst muss man zum teil ewig suchen. Gelernt habe ich aber auch: Ich muss manchmal verzichten können.

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