So sündhaft ist Zucker
Ernährung Vier K!ar.Texter haben sich auf die Suche nach Antworten gemacht. Wie schädlich ist Zucker wirklich? Wovor warnen Experten? Und vor allem: Wie schwierig ist es, auf ihn zu verzichten
Wie man ohne Zucker lebt – und kläglich scheitert
Als alte Naschkatze mit der Disziplin von Pippi Langstrumpf mache ich mich an das Experiment „Zuckerfrei“: Sieben Tage keinen weißen, raffinierten Zucker. Am Morgen des ersten Tages bin ich recht zuversichtlich. Normalerweise mache ich mir morgens eine Tasse Earl Grey mit Zucker und Zitrone. Das wird also nichts! Da er mir „ohne“nicht schmeckt, belasse ich es bei einem Glas Wasser. Als Nächstes will ich routiniert zum Knuspermüsli greifen. Halt Stopp, Zuckerfalle! Dann gibt es halt das gute alte Bauernbrot. Das kaue ich lange. Sehr lange. Denn ich erinnere mich, dass wir im Bio-Unterricht mal Brot so lange gekaut haben, bis es durch die gespaltene Stärke nach Zucker geschmeckt hat.
In der Unibibliothek fühle ich mich recht gut und bekomme nicht den Hungeranfall, der mich sonst kurz vor der Mittagspause befällt. Wie viel Zucker in der Jägersoße von der bayerisch-schwäbischen Theke drin ist, lassen wir mal aus dem Spiel. Doch nach dem Mittagessen kommt die große Lust auf Süßes. Meine Kommilitonen gönnen sich Apfelkuchen. Mein Wille steht auf der Kippe, aber ich halte durch. Tag zwei: Ich wache mit Kopfschmerzen auf. Schlechte Laune hab ich auch. Nicht nur der Zuckerentzug ist ein Problem, sondern vor allem die Organisation, ständig zuckerfreie Alternativen mit sich herumtragen zu müssen. Und das ist auch mein Verhängnis. An Tag drei vergesse ich meinen Apfel zu Hause, und auf einmal ist die Lust auf Süßes zu groß. Tatort: Cafeteria. Beweisstück: Schokoriegel-Verpackung. Ich gebe mich geschlagen und habe Respekt vor jenen Disziplin-Granaten, die einen zuckerfreien Alltag durchhalten. Vanessa Polednia
Manchmal gibt es keine Wahl: oder der kalte Entzug
Ich habe eine Fruktose-Intoleranz. Kann also keinen Fruchtzucker essen. Seit einem Jahr lasse ich auch gewöhnlichen Haushaltszucker weg. Am Anfang war die Umstellung wirklich schwierig, denn Zucker ist nicht nur in unglaublich vielen Lebensmitteln enthalten, er löst im Gehirn auch eine Suchtreaktion aus. Für mich hieß es also: kalter Entzug. Doch das Verlangen wurde durch konsequentes Weglassen mit der Zeit besser. Obwohl ich überzeugt bin, dass das für mich gesundheitlich richtig ist, bekomme ich von Freunden und Bekannten immer wieder Gegenwind.
Viele Menschen, besonders aus der Generation meiner Großeltern, glauben nicht an solche Unverträglichkeiten. Sie denken, ich sei irgendeinem Diätwahn zum Opfer gefallen. Oft wird mir dann unterstellt, was auch Veganer häufig zu hören bekommen: „Das machst du doch nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen!“Für mich und andere Betroffene ist es unangenehm, ständig Sonderwünsche anmelden zu müssen. In jedem Restaurant, auf jeder Schulfahrt und jeder Geburtstagsfeier muss sich jemand separat um meine Essensbedürfnisse küm- mern. Fruktose ist nämlich in allem Obst, in den meisten Soßen und selbst in vielen Gemüsesorten enthalten. Wenn ich für mich selber koche, bemerke ich die Einschränkungen kaum noch. Denn auch aus grünem Gemüse lassen sich tolle Beilagen zaubern.
Ruth Grossmann
Verzichten? Gerne! Aber nur, wenn alle mitmachen
Mein Experiment „Sieben Tage ohne Zucker“startet unaufgeregt. Ich suche mir im Internet ein paar abwechslungsreiche Rezepte und kaufe die nötigsten Zutaten. Der erste Tag ist ein Montag. Frühstück: Ein Smoothie aus Bananen, Erdbeeren und ungesüßtem Joghurt. Mein Mittagessen habe ich vorgekocht und nehme es in einer Brotzeitdose mit in die Schule. Während alle meine Freunde mittags gemeinsam essen, löffle ich meine kalte Gemüsesuppe und fühle mich etwas komisch. Zum Abendessen gibt es einen Salat,und der erste Tag ist überstanden. Ich kann das Experiment tatsächlich volle sieben Tage durchziehen. Ich frühstücke Smoothies und Porridge – also Haferbrei in verschiedenen Variationen. Eine willkommene Abwechslung zum gewohnten Brot mit süßem Belag. Auch beim zuckerfreien Abendessen fehlt mir nichts.
Besonders schwierig ist es aber durchzuhalten, wenn andere Menschen dabei sind, zum Beispiel beim Mittagessen. Auch, wenn alle Kekse, Schokolade und Chips essen, macht es keinen Spaß, danebenzusitzen und Tomatensuppe zu löffeln. In solchen Situationen bin ich kurz davor, aufzugeben. Wenn andere Menschen in geselliger Runde snacken, dann will man einfach mitmachen und ein Teil der Gruppe sein. Und so lautet mein Fazit: Ich bin stolz, das Experiment durchgezogen zu haben. Die positiven Aspekte sind sichtbar. Am Ende der Woche habe ich schönere Haut, fühle mich fitter und schlafe besser. Einige zuckerfreie Rezepte werde ich definitiv beibehalten. Wenn ich aber mit Freunden unterwegs bin, werde ich weiterhin tief in die Keksdose greifen. Amrei Rascke
Was Experten über zu viel Zucker sagen
Viele Menschen haben abends Lust auf etwas Süßes oder können auf ein Dessert einfach nicht verzichten. Einer, der weiß, warum das so ist, ist Martin Grosshans, Forscher an der Klinik für abhängiges Verhalten und Suchtmedizin in Mannheim. Er ist überzeugt, dass Zucker im Gehirn eine ähnliche Wirkung entfaltet wie Alkohol und andere Drogen. All diese Substanzen aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn und sorgen dafür, dass das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet wird.
Doch die Auswirkungen auf den Körper finden nicht nur im Gehirn statt. Schädlich ist vor allem die hohe und ständige Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse, die zu Diabetes führen kann. Zucker, den der Körper nicht sofort in Energie umsetzt, wird in der Leber gespeichert. Ist dieser Speicher voll, wird der Rest in Fett umgewandelt und landet auf den Hüften. Zucker wirkt sich zudem negativ auf die Nährstoffaufnahme des Körpers aus. Deshalb wird bei dessen Verzehr beispielsweise Kalzium verstärkt über die Nieren ausgeschieden.
Thilo Bode, Gründer der Verbraucherorganisation Foodwatch, erklärt in seinem Buch „Die Essensfälscher“, dass jeder Deutsche im Schnitt mehr als 40 Kilogramm Zucker pro Jahr verzehre. Das seien rund zehn Kilogramm mehr als in früheren Generationen. Einen Grund dafür sieht Bode darin, dass in vielen Fertiggerichten und „Light“-Produkten besonders viel Zucker enthalten ist. Auch in herzhaften Gerichten wie Salami oder Tiefkühlpizza. Manchmal versteckt er sich übrigens hinter einem anderen Namen. Stoffe wie GlukoseFructose-Sirup sind aber so schädlich wie Zucker. Eva-Maria Dillitz