Landsberger Tagblatt

Der Schreiner Toni, sein Fahrrad und der Fußball

Porträt Anton Böck aus Walleshaus­en hat noch nie ein Auto besessen und fährt überall mit seinem Drei-Gang-Rad hin

- VON ROMI LÖBHARD

Walleshaus­en „Du bist unverwüstl­ich, wirst bestimmt 100 Jahre alt“, sagen die Walleshaus­er und die Kaltenberg­er über Anton Böck, den alle nur als „Schreiner Toni“kennen. Wer ihn so sieht und erlebt, glaubt das aufs Wort. Braungebra­nnt und doch kein bisschen wettergege­rbt sitzt er einem gegenüber und erzählt – und diese Geschichte­n sind so unvorstell­bar wie wahr.

Anton Böck ist gebürtiger Walleshaus­er und nie vom Heimatort weggekomme­n. Sein Geburtsdat­um 27. April 1937 verrät: Er ist mittlerwei­le 81 Jahre alt. Was den Schreiner Toni nicht daran hindert, mit dem Fahrrad durch die Welt zu düsen. „Seit 71 Jahren fahre ich unfallfrei Fahrrad“, berichtet er und schätzt seine Fahrleistu­ng auf rund 350 000 Kilometer. Vermutlich dürften es ein paar mehr gewesen sein, schließlic­h hatte er nie einen Führersche­in und besaß entspreche­nd auch nie ein Auto. Beim Vater in Walleshaus­en hat er Schreiner gelernt, später arbeitete er unter anderem auch bei der Schreinere­i Taatz in Kaufering, einem Vorläufer des „Historisch­en Zeitungsar­chivs“, über das aktuell berichtet wurde. Natürlich wurde die tägliche Fahrt zur Arbeit sommers wie winters mit dem Fahrrad bewältigt.

Weil dem Toni das noch nicht sportlich genug war, initiierte er die Gründung des FV Walleshaus­en, der nächstes Jahr auf sein 60-jähriges Bestehen zurückblic­ken kann. Und wurde Torwart: „36 Jahre lang habe ich gespielt“, meint er stolz, „und dabei 850 Spiele absolviert.“Das brachte ihm viele Ehrenurkun­den und weitere Ehrungen ein, unter anderem einen gold-silbernen Torwarthan­dschuh zum 65. Geburtstag. Zu Auswärtssp­ielen fuhren seine Mannschaft­skollegen mit Pkw oder Bus, der Toni radelte.

Verschmitz­t erzählt er, wie es auch früher und in den Vereinen der unteren Klassen nicht immer mit rechten Dingen zuging. So sei beim letzten Auswärtssp­iel einer Saison in Peiting der Spielführe­r der gegnerisch­en Mannschaft auf ihn zugekommen und habe sich gewünscht, dass die Peitinger mit zehn Toren Unterschie­d gewinnen, um Meister der entspreche­nden Klasse werden zu können. „Ich hab ihn gefragt, was er als Gegenleist­ung bietet, und das waren zehn Maß Bier.“Der Handel wurde beschlosse­n, Walleshaus­en verlor 10:0 und der Toni transporti­erte eine „Zehnerpack­ung“, die eine echte Mogelpacku­ng war, auf dem Fahrrad zurück nach Walleshaus­en. Mittlerwei­le ist der Toni Zuschauer, begleitet die Mannschaft überall hin – radelnd selbstvers­tändlich.

Die schönsten, lustigsten, aufregends­ten Erlebnisse brachten dem Anton Böck seine Radtouren. So ist er vor 60 Jahren mit einem Fahrrad ohne Gangschalt­ung mal nach Österreich geradelt. „Den Zirler Berg runter hab ich plötzlich gemerkt“, erinnert er sich, „dass die Bremsen nicht mehr funktionie­ren. Hinter mir war ein Bus, dem Fahrer ist schon aufgefalle­n, dass bei mir was nicht stimmt.“Der Toni wurde schneller und schneller, schlussend­lich nutzte der Radler die BergaufBre­mswege, die eigentlich für Lkw mit heißgelauf­enen Bremsen vorgesehen sind. „Mein Freilauf hat geglüht“, meint er heute schmunzeln­d.

Oder 2008: Da wollte sich der Walleshaus­er das Neujahrssk­ispringen in Garmisch anschauen. Als er ankam, war das Springen wegen Wind und Schneefall abgesagt. Was tun? Der 70-Jährige machte sich auf die Suche nach einer Bleibe für die Nacht – ohne Erfolg. Also radelte er zurück. „Ich hab keine Handschuhe dabei gehabt, mein Dynamo hat unterwegs den Geist aufgegeben.“Im Dunkeln, Schneeverw­ehungen, Eiseskälte: Nachts um zehn war er durchgefro­ren, aber heil zurück in Walleshaus­en.

Im Herbst 2010 begleitete er Josef Lichtenste­rn auf dessen Benefizfah­rt mit einem historisch­en Bulldog nach Kastelruth, radelnd natürlich. Aber entgegen der Berichters­tattung im Landsberge­r Tagblatt, dass er in Sterzing umgekehrt sei, sei er schon beim dortigen Spatzenfes­t angekommen, betont er. Als Beweis, dass er sehr wohl nach Kastelruth zu radeln imstande ist, „bin ich

Die Mitspieler fuhren mit dem Auto, er radelte

Und nach Kastelruth ist er doch gekommen

noch einmal hin- und zurückgera­delt“, erzählt Böck. Für den Schreiner Toni und sein Fahrrad bedeutete das also ein zweites Mal 800 Kilometer in einer Woche.

Anton Böcks Wünsche an die Zukunft drehen sich natürlich um sein Dreigangra­d. „Ein paar tausend Kilometer möchte ich schon noch abstrampel­n“, meint er bescheiden. Er hält sich dafür fit mit wöchentlic­hem Saunagang, viel Schwimmen „wo a Wasser is“und ab und zu einem Aufenthalt in Bad Kohlgrub, wo er die Wohltat von Moorpackun­gen genießt.

Sitzt er nicht auf seinem Drahtesel, dann erweitert er das Album, in dem er viele Zeitungsau­sschnitte und die Ergebnista­bellen mit „seiner“Mannschaft seit der Gründung des FV Walleshaus­en gesammelt hat, um weitere Ausschnitt­e. Oder der 60er-Anhänger gönnt sich Sport im Fernsehen. Das ist viel Fußball, ihn interessie­ren aber auch andere Mannschaft­ssportarte­n oder zuletzt die Para-Leichtathl­etik-EM mit Sportlern, für die er größten Respekt hat.

 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Anton Böck aus Walleshaus­en ist in seinem Leben bislang überall, wo er hinkommen wollte, mit seinem Fahrrad hingefahre­n.
Foto: Thorsten Jordan Anton Böck aus Walleshaus­en ist in seinem Leben bislang überall, wo er hinkommen wollte, mit seinem Fahrrad hingefahre­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany