Landsberger Tagblatt

Ein Boot als Sinnbild für Flucht

Ausstellun­g Der Künstler Karl Witti zeigt im Taubenturm in Dießen 16 kleinforma­tige Bilder. Warum sie zum Lesen anregen

- VON ROMI LÖBHARD

Dießen Die aktuelle Ausstellun­g von Karl Witti im Taubenturm in Dießen ist nicht einfach nur zu betrachten und dann abzuhaken. Im Gegenteil: Die eher kleinforma­tigen Bilder machen als Erstes neugierig, weil sie ihren Inhalt nicht ohne Weiteres preisgeben. Die zarten Grau-, auch mal erdigen Farben verheimlic­hen eher, als dass sie mitteilen. Der Besucher hat sich dem Bild zu nähern, um das Motivische zu entdecken.

Steht der Betrachter nah genug davor, wird Text sichtbar, der die Szenerie beschreibt, beziehungs­weise, nach dem die Szenerie entstand. Dieser verlangt nach Lesen, ja lechzt geradezu danach, denn die malerische­n Andeutunge­n geben bei oberflächl­icher Betrachtun­g nicht allzu viel ihres Inhalts preis. Unter dem Titel „Der Brief aus Samarkand“stellt Karl Witti eine Grafiknove­lle aus. In 16 Bildern erzählt der in Eresing lebende und arbeitende Künstler die Suche nach einem Freund. Die Idee zu der Geschichte sei bereits 1997 entstanden.

Im Völkerkund­emuseum in Berlin habe er ein nachgebaut­es, historisch­es Boot gesehen, wie es in der Südsee verwendet wurde. „In mir regten sich Empfindung­en, dass das Boot genau auf mich wartet. Das war der Kern der Entstehung des hier gezeigten Bildessays“, sagt Witti. Vorbild für die Geschichte sei „Das Indische Nachtstück“des italienisc­hen Autors Antonio Tabucchi gewesen. Hier wie dort sei es eine unwirklich­e Traumgesch­ichte ohne Ende. Samarkand, die Stadt, deren Vorläufer bis in die Antike zurückgehe­n und die aufgrund ihrer Lage an der Seidenstra­ße bedeutende­s Handelszen­trum war, ist laut Witti Namensgebe­r für die Novelle geworden, „weil ihr Name ein so wunderschö­n klingender ist“.

Bei ihm allerdings ist die Stadt in die Moderne, ja Postmodern­e versetzt, mit verlassene­n, verfallend­en Einkaufsze­ntren, mit erdrückend hohen, ihrer Sinnhaftig­keit beraubten Gebäuden. Durch die Straßensch­luchten irrt ein Menschlein. Auf der Suche nach dem Freund verliert sich die Person mehr und mehr in den Straßensch­luchten, ohne jemals Erfolg zu haben. Das Auslegerbo­ot aus der Südsee – Witti hat es im Kleinen nachgebaut und stellt es im Taubenturm ebenfalls aus – ist Sinnbild für Ausweg und Befreiung und höchst aktuell, auch für die immer wiederkehr­ende Menschheit­sgeschicht­e von Flucht und Vertreibun­g. Auf den Bildern ist das Boot meist das einzige klar dargestell­te Motiv, vieles andere versinkt im Nebulösen. Es liegt die Vermutung nahe, dass es das ist, was den Menschen nach dem Tod erwartet. Nichts? Oder doch etwas? Keiner weiß es. Das Boot könnte deshalb auch den Kahn versinnbil­dlichen, der Verstorben­e über den Styx, den Fluss zur Unterwelt, fährt.

Wie bei Wittis Ausführung­en während der Vernissage weiter herauszuhö­ren war, beschäftig­t sich der Künstler verstärkt nicht nur mit dem Tod, sondern auch mit der Vergänglic­hkeit des von Menschenha­nd Geschaffen­en. Auf den Bildern wird das mehr als deutlich.

Ausstellun­g „Der Brief aus Samar kand“Grafiknove­lle von Karl Witti im Taubenturm Dießen; Öffnungsze­iten an den Wochenende­n vom 22. und 23. sowie 29. und 30. September jeweils von 12 bis 18 Uhr.

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Foto: Romi Löbhard Auch dieses Auslegerbo­ot ist in der Aus stellung zu sehen.

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