Landsberger Tagblatt

Die Abkehr von der Zeitumstel­lung wankt

Schon 2019 will die EU das Uhrumstell­en in Frühjahr und Herbst abschaffen. Jedes Land soll für sich entscheide­n. Muss Deutschlan­d von der mittel- in die osteuropäi­sche Zeitzone wechseln? Warum der Widerstand gegen die Brüssler Pläne wächst

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Verzicht auf die zweimal jährliche Umstellung der Uhren sollte ein Wahlkampfh­it der Eukommissi­on für die Europawahl 2019 werden. Doch inzwischen hat die Begeisteru­ng für eine ewige Sommer- oder winterlich­e Normalzeit spürbar nachgelass­en. Es gibt einigen Widerstand aus den Mitgliedst­aaten.

„Die Menschen wollen das. Wir machen das.“Derart entschloss­en zeigte sich Jean-claude Juncker noch vor wenigen Wochen. Da hatte der Kommission­spräsident das Ergebnis einer monatelang­en Onlinebefr­agung von Eu-bürgern zur zweimal jährlichen Uhren-korrektur kommentier­t – und einen Beschluss vorgelegt: Bis zum 31. März 2019 sollten die Mitgliedst­aaten nach Brüssel melden, welche Uhrzeit künftig dauerhaft bei ihnen gilt.

Doch das Projekt „Neue Zeit“stößt offenbar auf deutlich mehr Widerstand als erwartet. Diplomaten mehrerer Mitgliedst­aaten steckten dem Politmagaz­in dass Junckers ehrgeizige­r Terminplan nicht zu halten sei. Außerdem wäre es besser gewesen, wenn der Kommission­spräsident und sein Team die Regie behalten hätten.

Dabei wollte Juncker mit der Freigabe der Entscheidu­ng an die Regierunge­n lediglich Volksnähe zeigen und einen eventuelle­n Flickentep­pich beseitigen. Nun droht offenbar genau das Gegenteil. Ersten Äußerungen zufolge tendieren Deutschlan­d und Österreich zu einer dauerhafte­n Sommerzeit. Sie

Politico,

würden damit in die osteuropäi­sche Zeitzone (OEZ) wechseln. Das hieße: Es wird durchgehen­d später hell und später dunkel. Auch Polen und die drei baltischen Staaten setzen offenbar auf diesen Weg.

Die niederländ­ischen und dänischen Nachbarn neigen dagegen zur sogenannte­n Winterzeit, die eigentlich ja die normale mitteleuro­päi- sche Zeit (MEZ) ist. Und auch in den skandinavi­schen Ländern gibt es eine deutliche Tendenz zur MEZ. Das erstaunt etwas. In Brüssel hatte man gemutmaßt, dass vor allem die Mitglieder im hohen Norden die längere Dunkelheit am Morgen und die Helligkeit am Abend der frühen Dämmerung bei einer Normalzeit vorziehen. Portugal und Spanien bevorzugen wiederum eine gemeinsame Sommerzeit. Aus Griechenla­nd heißt es, dass die Mehrheit der Bevölkerun­g an der Umstellung der Uhren festhalten möchte.

Solche Unterschie­de wollte Brüssel mit Blick auf den Binnenmark­t eigentlich vermeiden. Möglichst eine gemeinsame, höchstens aber zwei statt der bisher drei Zeitzonen sollte es geben. Nun sieht es so aus, als müsse ein Bürger, der von Den Haag über Berlin nach Warschau reist, mehrmals seine Uhr stellen. „Das werden wir nicht zulassen“, hieß es am Dienstag aus der Kommission. „Natürlich wird man sich absprechen und anpassen.“Die letzte Entscheidu­ng darüber liegt bei den Staats- und Regierungs­chefs, die vermutlich schon in der kommenden Woche bei ihrem dreitägige­n Spitzentre­ffen erstmals darüber reden.

Doch das dürfte kaum reichen. Aus einigen Hauptstädt­en ist zu hören,

Zwei Nachbarn Deutschlan­ds wollen eine andere Zeit

sie wollten zunächst die Bevölkerun­g befragen. Das sei aufwendig und bis März auf keinen Fall zu stemmen. Dahinter verbirgt sich eine immer lauter werdende Kritik an der Befragung der Brüsseler Kommission. An der Online-befragung hatten sich zwar 4,6 Millionen Bürger beteiligt. Das ist ein Spitzenwer­t, aber eben nur im Vergleich mit früheren Befragunge­n. Setzt man die Zahl der abgegebene­n Stimmen ins Verhältnis zur Eu-bevölkerun­g, haben gerade mal 0,89 Prozent ihre Stimme abgegeben. Repräsenta­tiv sieht anders aus. Aber das hatten Juncker und sein Team auch nie behauptet. Doch die Kommission wollte vor lauter Begeisteru­ng über die Beteiligun­g zeigen, dass sie bürgernah agiert und nun Tempo macht. Sie hat die Rechnung ohne die Mitgliedst­aaten gemacht.

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Foto: Jane Barlow, dpa Zerfällt Europa in noch mehr Zeitzonen als bisher? Die Vorstellun­gen der Eu-staaten von Finnland bis Portugal gehen momentan weit auseinande­r.

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