Tanzen, ohne Töne zu hören
Im Stadttheater tritt ein modernes Ballett aus Vietnam mit gehörlosen Tänzern auf. Das LT hat mit seinem Leiter gesprochen
Landsberg Ein zeitgenössisches Ballett aus Vietnam klingt ungewöhnlich. Aber ein vietnamesisches Gehörlosenballet ist wohl der Gipfel des Unkonventionellen. Was einen da wohl am Freitag um 20 Uhr im Stadttheater erwartet? Wie nehmen Gehörlose Musik wahr, wie bewegen sie sich im Takt, wie interpretieren sie Töne? Das LT hat Le Vu Long, den Leiter und Choreografen des ersten zeitgenössischen Tanztheaters Vietnams, des „Vietnam Contemporary Dance Theatre Together Higher“dazu befragt.
Zeitgenössisches Ballett mit gehörlosen Tänzern klingt sehr ungewöhnlich. Ist diese Form des Tanzes in Vietnam verbreitet?
Le Vu Long: Nein, gar nicht. Ich bin klassisch ausgebildet und 1993 das erste Mal mit zeitgenössischem Tanz in Kontakt gekommen, und die Ausdrucksweise hat mich augenblicklich fasziniert. Erst seit meinem Aufenthalt in Frankreich 1998 habe ich mich systematisch damit befassen können. Als ich 2001 nach Vietnam zurückgekehrt bin, habe ich angefangen, zeitgenössischen Tanz zu unterrichten, und habe mit klassisch ausgebildeten Tänzern der Nationaloper zusammengearbeitet. Wir haben das Stück „Listen to the silent night“entwickelt und aufgeführt, doch aus verschiedenen Gründen habe ich die Kooperation beendet, hauptsächlich weil Vietnam und vietnamesische Tänzer dieser modernen Form noch nicht aufgeschlossen sind.
Wie sind sie dann auf die Idee gekommen, mit Gehörlosen zu arbeiten?
Long: Professionelle Tänzer haben es in Vietnam schwer genug, sich und ihre Familien zu finanzieren. Daher können sie sich nicht tief genug auf meine Art einlassen. Ich war daher auf der Suche nach tänzerisch begabten Laien. Eines Tages lernte ich über Freunde einige Gehörlose kennen. Ihre Gesten und ihre Körpersprache sind nicht nur ein Ausdruck einer Emotion, sondern gehen viel tiefer und sind ungleich intensiver als jedes gesprochene Wort. So begann ich mit dem Storytelling in nonverbaler Sprache. Diese Menschen haben mich gelehrt, das Leben anders wahrzunehmen, und ich habe ihnen wiederum eine andere Form der Sprache gegeben, die Sprache des Tanzes. Die Zusammenarbeit ist aufregend und herausfordernd, doch in nunmehr 16 Jahren haben wir ein ganzes Repertoire an Stücken erarbeitet.
Aber wie verständigen sie sich?
Long: Es gibt keine festen Regeln oder Methoden. Seit sieben Monaten arbeiten wir acht Stunden täglich für „Sigh Memory“. Die Tänzer können nicht mit den Ohren hören und nicht mit dem Mund sprechen, aber sie sprechen und hören mit ihrem Herzen und ihrer Seele. Eigentlich suche ich ständig nach neuen Ausdrucksformen, weil die Geschichte und die Menschen sich jeden Moment weiterentwickeln und verändern. So entsteht eine ganz eigene Bewegungssprache.