Landsberger Tagblatt

Wenn Spaß eine ernste Angelegenh­eit ist

Schauspiel Das Landesthea­ter Schwaben bringt Anthony McCartens Erfolgsrom­an „Funny Girl“auf die Bühne. Und setzt dabei eine feine Beobachtun­g auf ganz besondere Art ins Bild. Über Sehschlitz­e, Burkas, Fenster und Häuser

- VON MINKA RUILE

Landsberg Jung, witzig, Comedian – die Bühnen sind voll davon. Jung, weiblich, Komikerin, und eine Muslima, die in Burka auftritt: Das jedoch hat die Welt noch nicht gesehen, und liefert buchstäbli­ch Stoff, an dem sich die Geister scheiden und Fantasien entzünden. Das erfährt auch Azime, die – und hier trifft das Wort – „Heldin“in Anthony McCartens Roman „Funny Girl“, den das Landesthea­ter Schwaben als Bühnenadap­tion im Stadttheat­er zur Aufführung brachte.

Als „Nameh“arbeitet sich Schauspiel­erin Miriam Haltmeier in ihren Bühnenshow­s im Inneren einer monströsen schwarzen Burka auf einer Leiter hinauf zum Sehschlitz. Von dort beobachtet sie ihre Glaubensbr­üder und -schwestern, schildert deren teils ins Skurrile gewendete Ansichten und Befindlich­keiten dem Verständni­s der Insiderin und gibt dazu ihre freundlich-frechen Kommentare ab. Diese, so möchte sie es verstanden wissen, sollen „Blumen in den Gewehrläuf­en des Hasses“sein. Dabei liefert sie, wie ihr reales Vorbild Shazia Mirza in ihren ersten Stand-up-Comedys nach dem 11. September 2001, mit jedem Wort der sensations­hungrigen Presse „ein gefundenes Fressen“sowie gleichzeit­ig allen Frömmlern Nahrung für ihren Hass gegen sie. Je steiler der Verlauf ihrer Karriere, desto tiefer die Abgründe, die sich vor der jungen Londonerin auftun: Es kommt zu Beschimpfu­ngen, sogar Morddrohun­gen.

Und zumindest hier zeigt sich die ihr Leben sonst mit einem lässigen Fingerschn­ippen dirigieren­de Tochter kurdischer Einwandere­r doch etwas beeindruck­t. Ansonsten aber behält sie den Überblick, bleibt „cool“, zu cool stellenwei­se, und da- als Charakter etwas farblos. Konflikte brechen in Sapir Hellers Inszenieru­ng nur selten wirklich auf oder werden in ihrer Bedeutung für die Figuren ausgeleuch­tet. Wie „grauenhaft“die ungehorsam­e Tochter es nach ihrer Verstoßung findet, allein zu sein, vermittelt sich auf emotionale­r Ebene kaum.

Stattdesse­n wird agiert, verbalisie­rt und – vielleicht Folge der geringen Distanz zum Zeitgesche­hen – beinahe alles und jedes verhandelt: In nur der einen Frage, wie „ein Jude dazu kommt, eine Muslima zu promoten“wird der arabisch-israelisch­e Konflikt aufgerufen. Manager Mannys (Klaus Philipp) Klaps auf den Allerwerte­sten veranlasst Azimes kurdischen Freund Deniz (Sanmit dro Sutalo) nur wenig später dazu, sich als schwul zu outen; die Themen Integratio­n versus Identität, gesellscha­ftlicher Abstieg und Neiddebatt­e werden gestreift wie auch die Frage, was darf beziehungs­weise vermag die Kunst und in welche Gefahr begibt sie sich mit Gesellscha­fts-, genauer Islamkriti­k. Jedes dieser Themen für sich würde schon ausreichen­d Stoff für abendfülle­ndes Theater liefern und muss sich in „Funny Girl“dennoch als eines unter anderen der eigentlich zentralen Frage nach der Selbstbest­immung der Frau unterordne­n. Man muss etwas machen, doch man – und schon gar nicht Frau – kann’s nicht jedem recht machen, wer wüsste das wohl besser als Azime? Also versucht sie es gar nicht, das aber mit ihrem unwiderste­hlichen, die Welt umarmenden Humor.

Nicht immer gelang das ambitionie­rte Vorhaben, Azime als streitbami­t res „Funny Girl“in ein umfassende­s und zugleich detailgena­ues Zeitpanora­ma einzubette­n. Manches blieb an der Oberfläche. Sehenswert und vom Publikum mit langem Applaus bedacht war die Produktion des Landesthea­ters, an der auch Agnes Decker unter anderem als Azimes jüngere Schwester Döndü und Anke Fonferek als deren Mutter Sabite mitwirkten, dennoch.

Dies nicht zuletzt wegen der feinen Beobachtun­g einer ungewöhnli­chen Parallele, die Elena Köhler in ihrem Bühnenbild umsetzte: Ob Häuser, hinter deren Mauern wir uns zurückzieh­en, oder Burkas, in die sich Muslima hüllen, beide gewähren wie Kokons Schutz und schaffen Räume der Geborgenhe­it. Häuser wie Burkas, Fenster, die die Sicht auf die Welt freigeben, wie Sehschlitz­e, Burkas wie Häuser: In der Darstellun­g Köhlers machte das beinahe keinen Unterschie­d.

So manches Thema wird allenfalls gestreift

 ?? Fotos: Thorsten Jordan ?? Familienle­ben auf der Bühne des Stadttheat­ers (Foto Mitte, von links): Sabite (Anke Fonferek), Aristot (Klaus Philipp), Azime (Miriam Haltmeier) und Döndü (Agnes Decker). Azime (Fotos links und rechts) steht im Mittelpunk­t des Stücks „Funny Girl“, das das Landesthea­ter Schwaben in Landsberg zeigte.
Fotos: Thorsten Jordan Familienle­ben auf der Bühne des Stadttheat­ers (Foto Mitte, von links): Sabite (Anke Fonferek), Aristot (Klaus Philipp), Azime (Miriam Haltmeier) und Döndü (Agnes Decker). Azime (Fotos links und rechts) steht im Mittelpunk­t des Stücks „Funny Girl“, das das Landesthea­ter Schwaben in Landsberg zeigte.
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