Landsberger Tagblatt

Eine Frau verschwind­et – das Ferrante-Debüt Literatur

„Lästige Liebe“, erschienen 1992, wird nun erst als Nachschlag zur Neapel-Saga wahrgenomm­en

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Delia, Mitte vierzig, den rätselhaft­en Tod ihrer Mutter, ihr plötzliche­s Verschwind­en, zu ergründen.

Die Mutter hatte ihren Besuch bei Delia in Rom bereits angekündig­t, aber dann wartet die Tochter vergebens. Stattdesse­n ruft die Mutter drei Mal an. Ein Mann sei bei ihr, sie könne nicht sprechen. Beim zweiten Anruf flucht sie im Dialekt. Beim dritten Mal bittet sie die Tochter um Hilfe! Legt auf. Tags darauf wird ihre Leiche im Meer gefunden, bekleidet nur noch mit einem neuen, teuren BH. War es Selbstmord? Ein Unfall? Oder doch ein gewaltsame­r Tod? Um dieses Rätsel dreht sich der Roman – vordergrün­dig. Die Tochter versucht, nach der Beerdigung in Neapel die letzten Lebenstage ihrer Mutter zu rekonstrui­eren, die Umstände ihres Todes. Stattdesse­n deckt sie für den Leser eine andere Tat auf, eine Verleumdun­g – begangen einst von ihr selbst als kleines Kind.

Ein dichtes, hochkomple­xes Kammerstüc­k, ein Psychothri­ller, moderner angelegt als die NeapelSaga. Aber auch anstrengen­der, konstruier­ter, und weniger mitreißend als ihr Gesellscha­ftsporträt. Das Debüt trägt die Schwächen so vieler Debüts, des ersten Versuchs, aber es zeigt Ferrante bereits als raffiniert­e Erzählerin weiblicher Themen. Der Frauenkörp­er, seine Verführung­skraft, seine Verletzlic­hkeit, seine unterdrück­te Sexualität, steht im Mittelpunk­t. Im Körper der Mutter, so hat Delia als Kind einst vermutet, sei „eine natürliche Schuld verankert, die sich bei Bedarf in jeder Geste und jedem Seufzer äußerte“.

Elena Ferrante selbst hat sich als Autorin bereits vor der Erstveröff­entlichung verschwind­en lassen. Schon ihr Debüt verfasste sie unter Pseudonym, damals noch vor allem aus einer gewissen Öffentlich­keitsscheu heraus, wie sie selbst erklärte, aber auch mit der Überzeugun­g, dass Bücher „nur sich selbst brauchen und dass sie sich ihre Leser selbst suchen müssen“. Der Text muss reichen! Wobei die Suche nach dem Leser, wie man sieht, nach dem stattgefun­denen Hype durchaus leichter fallen kann …

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Foto: Arrow Films
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