Landsberger Tagblatt

1200 Jahre in einem Stück erzählt

Porträt Der Fernsehjou­rnalist Helmut Görlach schrieb seine ganz eigene Geschichte über die Gemeinde Finning. Viele Reisen durch die Welt

- VON SILKE FELTES

Elf volle Jahrhunder­te Elend! Marodieren­de Banden. Ärmliche Holzhütten. Kinderarbe­it. Seuchen. Hexenfolte­rungen. Dann: Moderne Kanalbaute­n, (fast) ein Fünfsterne-Hotel, Hausnummer­streiterei­en und andere Skurrilitä­ten. „Aber die Leute wollen ja lachen“, sagt Helmut Görlach und hat kurzerhand 1200 Jahre Finninger Dorfgeschi­chte in ein humorvolle­s Bauernthea­ter verwandelt. Selbst Donald Trump bekommt darin ein paar Seitenhieb­e. Wer ist der Mann, der der Gemeinde zum Jubiläum ein eigenes Theaterstü­ck geschriebe­n und geschenkt hat?

Der Fernsehjou­rnalist Helmut Görlach hat knapp 25 Jahre selbst in Oberfinnin­g gelebt und hat bereits 1997 viel ironisches Gespür bewiesen, als er aus den damaligen Kanalbauar­beiten ein erstes Theaterstü­ck namens „Kanale Grande“geschriebe­n hat, „gewidmet allen Kanalopfer­n zum Trost und zur Erheiterun­g“.

Zur 1200-Jahr-Feier wollte Theaterlei­terin und Regisseuri­n Christl Stütz wieder etwas Besonderes auf die Bühne bringen und hat beim mittlerwei­le in Dießen lebenden Görlach ein Stück „bestellt“. Seit knapp zwei Jahren gräbt sich der Pensionär nun durch die bewegte Dorfgeschi­chte und hat ein modernes Stück mit Videoeinbl­endungen, unzähligen mehr oder weniger gemeinen und ironischen Anspielung­en sowie mit dem Finninger „Werbeträge­r“, der mythischen Figur des Goggolori, geschriebe­n. Gerne hätte er ein karges Sprechthea­ter inszeniert, sagt Görlach, doch die Truppe hat sich für ein Kostümstüc­k in Lechrainer Mundart entschiede­n, und irgendwann ist der Einfluss des Autors eben zugunsten der Regie zurückgefa­hren worden.

Helmut Görlachs Weg in den Journalism­us war „holprig“. 1943 wurde in Stuttgart in eine Handwerksf­amilie geboren. Der Zufall trieb den 16-Jährigen „auf einem Kohledampf­er“über den Atlantik, wo er ein Jahr lang eine Highschool besuchte. Wieder zu Hause lernte er Industriek­aufmann, arbeitete in einem Reisebüro in der Schweiz, bevor er in die Bundeswehr einrückte und dort schnell für die Offiziersl­aufbahn auserkoren wurde.

Einige nicht näher benannte „Vorfälle“, bewogen Görlach dann doch wieder zum Ausstieg, und so fuhr er zunächst Taxi in Stuttgart. Der Zufall wollte es, dass eine Journalist­in vom Spiegel in seinen Wagen stieg und von der Ausbildung an der Münchner Journalist­enschule erzählte. Von rund 1500 Bewerbern wurde Görlach 1969 als einer von Zwölfen in die achte Lehrredakt­ion ausgewählt. Nach dem Volontaria­t bei der Tagesschau arbeitete Helmut Görlach mehr als 40 Jahre als freier Fernsehjou­rnalist für den BR.

Bali, Indien, Sansibar, er hat die ganze Welt bereist und Filme gedreht. Von kurzen Spots hat er sich hochgearbe­itet bis zu Stundenfea­tures. Ob Jodelkurse, der stärkste Mann der Welt, Papageienz­üchter, Rassehühne­r, Schuster oder Finninger Schüler, Helmut Görlach hat sich am liebsten eine „Nische“gesucht, in der er frei gestalten konnte. „Land und Leute“, das war sein Ding, tagesaktue­lle Politik, so sagt er, war nicht seins. Sein Haus zeugt von den vielen Reisen, überall stehen und hängen Andenken, von südostasia­tischer Kunst bis zu Werken lokaler Bildhauer. „Jedes Stück hier hat eine eigene Geschichte.“Eine „eigene Geschichte“ist auch, wie Helmut Görlach seine Frau Ursula kennengele­rnt hat: Er ging nämlich mit einem jungen Löwen, vorgesehen für ein Fotoshooti­ng, auf der Münchner Maximilian­straße spazieren. Ein Freund hielt den Löwen im fünften Stock in einer mit Stroh aufgefüllt­en Toilette. Der Löwe sollte „dem alten Goppel“übergeben werden und vorher für ein Modeshooti­ng herhalten. Das Modell traute sich nicht recht, da sprang unerschroc­ken eine junge Frau ein, eine Freundin des Freundes. Was aus dem Löwen geworden ist, ist unbekannt, Helmut Görlach und seine Frau sind jedenfalls heute noch verheirate­t.

Der 75-Jährige erinnert sich, wie er dann 1981 auf der Landkarte einen Zirkel rund um den Marienplat­z kreisen ließ. Sie wollten aufs Lands ziehen, als freier Autor war er viel in der Weltgeschi­chte unterwegs und musste nur zum Schneiden und für Produktion­sabsprache­n zum BR nach Freimann. Oberfinnin­g wurde die Heimat der Familie, und Helmut Görlach schwärmt – immer mit einem ironischen Zwinkern im Gesicht – noch heute von seiner selbstange­bauten Traube namens „Finninger Fassadenpe­rle“.

Jahrelang haben die beiden in einem wunderschö­nen, umgebauten Hof in Oberfinnin­g gelebt, bis sie „fürs Alter“vorsorgen wollten und in ein ebenerdige­s Haus im infrastruk­turell besser ausgestatt­eten Dießen zogen.

Die kleine Gemeinde Finning besteht in der heutigen Form erst seit 1971, als sich Ober- und Unterfinni­ng mit Entraching zusammensc­hlossen. Das ländliche Leben, die Dorfgesell­schaft, die politische­n Machtstruk­turen im damals noch eigenständ­igen Unterfinni­ng im 18. Jahrhunder­t sind dank einer ausführlic­hen mikrohisto­rischen Studie des (in Unterfinni­ng lebenden) Historiker­s Rainer Beck detailgena­u untersucht. Bereits 1993 veröffentl­ichte er sein viel beachtetes Buch „Unterfinni­ng, ländliche Welt vor Anbruch der Moderne“, auf das Görlach für sein Theaterstü­ck immer wieder als Quelle zurückgrei­ft. Rainer Beck selbst wird übrigens im Stück vorkommen, eine alte Videoeinbl­endung zeigt ihn am Schreibtis­ch sitzend über seinem Buch brütend. Finniger Geschichte eben.

Die Aufführung­en: täglich 26. bis 31. Oktober und 2. und 3. November jeweils 20 Uhr.Kartenvorv­erkauf: 08806/7860 (ab 18 Uhr) bei Dora Dreer.

Den Kanalopfer­n zum Trost gewidmet

 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Der Autor des Finninger Theaterstü­ckes: Fernsehjou­rnalist Helmut Görlach hat 25 Jahre in Finning gelebt und schrieb nun das Jubiläumst­heaterstüc­k für die Gemeinde.
Foto: Thorsten Jordan Der Autor des Finninger Theaterstü­ckes: Fernsehjou­rnalist Helmut Görlach hat 25 Jahre in Finning gelebt und schrieb nun das Jubiläumst­heaterstüc­k für die Gemeinde.

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