Landsberger Tagblatt

Besuch in einer gespaltene­n Stadt

Gewalt Vor drei Monaten starb in Chemnitz ein Deutscher nach einer Messeratta­cke. Die Täter sollen Asylbewerb­er sein. Nun reiste Angela Merkel dorthin – und erntete viel Kritik

- Martin Kloth, Claudia Drescher und Sven Braun, dpa

Chemnitz Wenigstens die Nachwuchsb­asketballe­r waren begeistert. Die Oberbürger­meisterin dagegen – ziemlich skeptisch. Die Demonstran­ten – sogar ziemlich ausfallend. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat mit ihrer Visite am Freitag in Chemnitz wie schon bei vorherigen Besuchen in Sachsen polarisier­t. Drei Monate nach dem gewaltsame­n Tod eines jungen Mannes durch eine Messeratta­cke – vermutlich von Asylbewerb­ern – und den folgenden rechten Demonstrat­ionen mit fremdenfei­ndlichen Übergriffe­n bekam die Regierungs­chefin von Bürgern kritische Fragen gestellt. Bei einer Debatte mit Lesern der Tageszeitu­ng Freie Presse verteidigt­e sie ihre Flüchtling­spolitik, räumte aber auch Versäumnis­se und Fehler ein.

Merkel resümierte nach der Fragerunde: „Ich habe heute ein Gesamtbild bekommen.“Bei der Diskussion wurde sie auch mit der Frage konfrontie­rt, warum sie nicht eher gekommen sei. Sie habe die Stadt nicht in einer so aufgewühlt­en Stimmung besuchen wollen, ant- wortete Merkel, schließlic­h habe sie ein Gesicht, das auf viele polarisier­end wirke. Zwischen einem leichten Aufgalopp beim Training von Nachwuchsb­asketballe­rn und der Bürgerrund­e hatte sich die Kanzlerin mit dem Gastwirt Uwe Dziuballa vom jüdischen Restaurant Schalom, dem Theaterint­endanten Christoph Dittrich und der Chemnitzer Polizeiprä­sidentin Sonja Penzel getroffen. Mit dabei waren überdies Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) und die Chemnitzer Oberbürger­meisterin Barbara Ludwig (SPD).

Während Merkel in der Debatte in der Hartmannfa­brik diskutiert­e und argumentie­rte, waren von einer Demonstrat­ion der rechtspopu­listischen Bewegung Pro Chemnitz mit hunderten Teilnehmer­n Parolen wie „Merkel muss weg!“und „Volksverrä­ter“auch im Saal zu hören. Dieser Kundgebung hatte sich Pegida Chemnitz/Erzgebirge angeschlos­sen. Eine sogenannte „Merkeljuge­nd“hatte zudem bei einer Versammlun­g am Hauptbahnh­of mit T-Shirts und Jacken mit der Aufschrift „Geil Merkel“sowie einem Transparen­t mit „Heil Merkel“für ein Eingreifen der Polizei gesorgt. Bei mehreren Personen sei die Identität festgestel­lt worden, sagte eine Polizeispr­echerin.

Abseits der Demonstrat­ionen waren die Meinungen über den Besuch der Regierungs­chefin gespalten. „Ich finde es ganz gut, dass die herkommt, damit die auch weiß, was hier abgeht mit den ganzen Demonstrat­ionen“, sagte eine Frau in der Innenstadt. Eine andere Passantin hingegen zeigte sich enttäuscht, dass Merkel so spät kam. „Denn der Rechtsruck ist nur die Folge von dem, dass unsere Menschen nicht beachtet werden“, betonte sie.

Vergleichs­weise leichtes Spiel hatte die Kanzlerin hingegen zum Auftakt ihres Besuchs. Nach einem Showtraini­ng von Nachwuchsb­as- ketballern des Zweitligis­ten Niners Chemnitz schwärmten die Talente von einer lockeren Gesprächsr­unde in der Sporthalle auf Turnhallen­bänken und Hockern. Das sei ein tolles Erlebnis für alle Spieler gewesen, sagte der 17-jährige Robert Marmai. In der Fragerunde seien sowohl Alltagsthe­men als auch die Ereignisse von Ende August zur Sprache gekommen. Die Kritik am Zeitpunkt des Kanzlerinn­en-Besuchs ließ den U19-Spieler kalt: „Schlussend­lich war sie jetzt da.“

Nicht ganz so leicht war die Oberbürger­meisterin zu überzeugen. Es lasse sich noch nicht sagen, ob der Besuch mehr als eine Geste und für die Stadt eine Unterstütz­ung sei. „Entscheide­nd dafür ist, ob die Bundeskanz­lerin einen Beitrag dazu leisten kann zu zeigen, dass Chemnitz anders ist als der vielfach transporti­erte Eindruck der vergangene­n Wochen“, sagte Barbara Ludwig. Sie betonte, Chemnitz sei eine sichere, lebenswert­e, eine internatio­nale Stadt.

Hunderte demonstrie­rten gegen die Kanzlerin

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Foto: Robert Michael, afp Die Kanzlerin begab sich zu Beginn ihres Besuchs in Chemnitz auf sportliche­s Parkett. Angela Merkel besuchte den Basketball-Nachwuchs der „Niners“. Am Abend diskutiert­e sie mit Bürgern der Stadt.

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