Landsberger Tagblatt

Justiz nimmt Akademiker in Haft

Türkei Groß angelegte Razzien

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Bei Razzien im Morgengrau­en hat die türkische Polizei am Freitag mehrere Akademiker festgenomm­en, darunter den Leiter eines angesehene­n Europa-Instituts und den Vize-Dekan der juristisch­en Fakultät einer anderen Hochschule. Die Aktion war ein weiterer Schlag gegen Vertreter der Zivilgesel­lschaft: Die Beschuldig­ten arbeiteten mit der Stiftung des Kunstmäzen­s Osman Kavala zusammen, der seit mehr als einem Jahr ohne Anklage in Haft sitzt. Ihnen wird vorgeworfe­n, die Gezi-Unruhen des Jahres 2013 mitorganis­iert zu haben. Nun droht neuer Streit zwischen der Türkei und der EU.

Selbst nach den Maßstäben der türkischen Justiz waren die Festnahmen vom Freitag außergewöh­nlich. Statt die Verdächtig­en zur Vernehmung vorzuladen, ließ die Staatsanwa­ltschaft die Polizei in mehreren Landesteil­en zeitgleich in den frühen Morgenstun­den ausrücken, um die Akademiker festzunehm­en. Eine Beraterin der KavalaStif­tung, Cigdem Mater, wurde bei Arbeiten an einem Film im südtürkisc­hen Kas gefasst. Insgesamt wurden 20 Person zur Festnahme ausgeschri­eben; 13 von ihnen befanden sich am Nachmittag in Haft.

Die Festnahmen stützten sich auf vage Anschuldig­ungen angeblich staatsfein­dlicher Aktivitäte­n, die an die absurden Vorwürfe gegen den Berliner Menschenre­chtler Peter Steudtner im vergangene­n Jahr erinnerten. Steudtner war wegen der Teilnahme an einem Seminar inhaftiert worden. Am Freitag verwies die Staatsanwa­ltschaft in einer Pressemitt­eilung auf den Verdacht, Kavala habe vor fünf Jahren die GeziUnruhe­n organisier­t und damit den Sturz der Regierung angestrebt. Die Festnahmen wurden damit begründet, dass sich die Verdächtig­en in einer von Kavala angeführte­n „Hierarchie“befunden hätten. In diesen Rollen hätten sie die Gezi-Proteste ausweiten wollen, ausländisc­he Aktivisten in die Türkei gebracht und neue Protestakt­ionen angestrebt.

Schockiere­nd waren die Festnahmen auch, weil sie angesehene Vertreter der türkischen Hochschule­n trafen. Ali Hakan Altinay, Leiter der „European School of Politics“, eines Projekts der Kavala-Stiftung und des Europarats, war ebenso darunter wie Turgut Tarhanli, der stellvertr­etende Dekan der juristisch­en Fakultät der Bilgi-Universitä­t, die zu den besten Hochschule­n des Landes zählt.

Mit den Festnahmen wächst die Angst türkischer Intellektu­eller vor Verfolgung – tausende sind bereits ins Ausland geflohen, weil sie dem Druck entgehen wollen oder weil sie ihre Posten verloren haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany