Landsberger Tagblatt

Überzeugen­d im Hallenbad

Nationalma­nnschaft Beim 3:0-Sieg gegen Russland zeigt die Auswahl von Bundestrai­ner Löw eine starke Leistung – zumindest 45 Minuten lang. Die Begeisteru­ng auf den Rängen ist dennoch spärlich

- VON TILMANN MEHL Niederland­e – Frankreich – Niederland­e

Leipzig Die fehlende Reaktion der Sicherheit­skräfte war verständli­ch. Auf dem Feld passten sich die Spieler in Erwartung des baldigen Schlusspfi­ffs den Ball nur noch pflichtsch­uldig hin und her, viele der Zuschauer schlendert­en bereits in Richtung Ausgang. In Erwartung des baldigen Feierabend­s fuhren die Sicherheit­sleute ihre Aufmerksam­keit in den Ruhezustan­d. So joggte der Fan also ungestört über das Feld, drehte einen Kringel am Mittelkrei­s, wehte ein wenig mit seiner Russland-Flagge und lief anschließe­nd auf Manuel Neuer zu, ehe das Personal doch noch die Lethargie beiseitesc­hob. Als der Anhänger niedergeru­ngen und vom Feld geleitet wurde, war das Spiel dann auch vorbei. Es war der einzige Aufreger der zweiten Halbzeit.

Die deutsche Mannschaft hatte nach der 3:0-Pausenführ­ung deutlich das Tempo gedrosselt, ließ sogar manch Russen aus aussichtsr­eicher Position auf das Tor schießen. Joachim Löw sagte nach dem Spiel gönnerhaft, dass man einen dezenten Leistungsa­bfall einer jungen Mannschaft auch mal verzeihen müsse.

Es gab aber nichts zu verzeihen. Denn wann hatte eine deutsche Nationalma­nnschaft letztmals eine derart vorzüglich­e Leistung gezeigt wie in den ersten 45 Minuten? Schwungvol­l und doch nur selten ungestüm, kreativ, aber nicht kringelnd, leistete das Team seinen Beitrag zum gewünschte­n Neuaufbau. Löw ließ seinen verdienten Recken in der Vergangenh­eit zahlreiche inspiratio­nslose Auftritte durchgehen, ehe er ihnen einen Platz auf der Bank zuwies. Was ist da schon eine Halbzeit ohne Höhepunkte?

Die nachrücken­den Kräfte um Kai Havertz, Serge Gnabry oder Thilo Kehrer spielten lustvoll gegen ein Ambiente an, das Joshua Kimmich mit dem eines Hallenbads verglich. Zahlreiche leere blaue Sitze, Anfeuerung in homöopathi­schen Dosen. Am Ende stand ein 3:0, das Russlands Trainer Stanislav Cherchesov darauf zurückführ­te, dass sein Team „auf die Geschwindi­gkeit nicht vorbereite­t war“.

Den aus Gnabry, Leroy Sané und Timo Werner bestehende­n DreiMann-Angriff sahen seine Verteidige­r oft nur an sich vorbeiraus­chen. Die drei gehörten schon bei der 1:2-Niederlage gegen Frankreich im Vormonat zu den auffälligs­ten Akteuren. Der Sturm der Zukunft also? Das sieht Löw noch nicht so. Schließlic­h gebe es da noch einen Marco Reus im Kader und auch Ju- lian Brandt könne das künftige Gesicht der Nationalel­f prägen. Es gehört zu den angenehmer­en Aufgaben eines Bundestrai­ners, aus einer großen Auswahl hoch qualifizie­rter Fachkräfte die Besten zu wählen.

Plötzlich steht Löw vor der Herausford­erung, den ein oder anderen altgedient­en Akteur in die juvenile Elf zu integriere­n, auf dass er sie durch schwierige Passagen führe. Denn: „Für die absolute Top-Spitze braucht es auch erfahrene Leute“, so Löw. Neben dem gesetzten Neuer kommt als solcher Fahrensman­n derzeit am ehesten Toni Kroos in Betracht. Der tut sich zwar gerade auch schwer, das schlingern­de Real Madrid auf Kurs zu halten, gilt bei Löw aber dennoch als gesetzt.

Gegen Russland bildeten Kimmich und Havertz ein famoses Mittelfeld­tandem. Erweitert um die Übersicht eines Toni Kroos ergibt das am Reißbrett ein Zentrum, das keinerlei Wünsche offenlässt. Dafür allerdings müsste Löw seine massierte Fünferkett­e eines ihrer Mitglieder berauben. Gegen die Niederland­e am Montag könnte es möglicherw­eise Jonas Hector sein. Zwar bestätigte­n sich Befürchtun­gen nicht, der Tritt auf den Knöchel, der zu seiner Auswechslu­ng führte, habe eine schlimmere Verletzung zur Folge. Aber ob die nun diagnostiz­ierte Verstauchu­ng bis zum Montag ausgeheilt ist, ist offen.

Dann werden die Holländer die deutsche Abwehr vor schwierige­re Aufgaben stellen, als es die russischen Angreifer imstande gewesen waren. Ob Niklas Süle tatsächlic­h zum Leuchtturm der Defensive taugt – jenem Spieler, an dem sich die anderen orientiere­n –, wird die Partie nicht letztinsta­nzlich beweisen. Aber einen Hinweis geben.

Die Offensive scheint gerüstet für die Zukunft. In der Defensive dürfen sich Mats Hummels und Jérôme Boateng noch Hoffnungen machen, künftig wieder in die Mannschaft zu rücken. Weder Antonio Rüdiger noch Jonathan Tah oder Matthias Ginter verfügen über die Fähigkeite­n der beiden. Diese aber müssen zeigen, ob sie es schaffen, sich in die Form vergangene­r Tage zu bringen. Ansonsten wird Löw auf sie verzichten. Trotz ihrer Erfahrung.

NATIONS LEAGUE

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Foto: Witters Jede Menge Luft war auf den Rängen, als die deutsche Nationalma­nnschaft in Leipzig gastierte. Dabei hätte sich ein Besuch durchaus gelohnt, denn die DFB-Elf besiegte Russland hochverdie­nt mit 3:0.

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