Landsberger Tagblatt

Sie mussten ein Fräulein sein

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Maria Lischnewsk­a glaubte, einen großen Sieg errungen zu haben. Sie gehörte zu den wenigen Feministin­nen ihrer Zeit, die nicht nur für das Frauenwahl­recht gekämpft haben, sondern auch gegen das Eheverbot für Lehrerinne­n. Und jetzt war es endlich so weit. Ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg entschied die Weimarer Republik, dass Lehrerinne­n heiraten und trotzdem ihren Arbeitspla­tz behalten durften. Ein Schritt in Richtung Gleich- berechtigu­ng, aber ein kurzlebige­r: Nur vier Jahre danach machten die Weimarer Herren einen Rückzieher. Lehrerinne­n konnten ab 1923 im Falle einer Eheschließ­ung wieder aus dem Dienst entlassen werden. Seit 1880 hatte das „Fräulein“Lehrerin tatsächlic­h ein Fräulein zu sein. Damals war es schon ein Fortschrit­t, dass Frauen überhaupt in solchen höheren Berufen arbeiten durften. Dafür wurde als Opfer der sogenannte Lehrerinne­nzölibat verlangt. Wollte das Fräulein seinen Status wechseln und Ehefrau werden, hieß es Abschied nehmen vom Lehrerberu­f und von der Beamtenpen­sion.

Warum? Maria Schmitz, selber Lehrerin, Zentrums-Politikeri­n und Vorsitzend­e des Vereins katholisch­er deutscher Lehrerinne­n, formuliert­e einen Grund, den viele Männer und Frauen damals unterschri­eben: „Die Lehrerin soll sich mit ganzer Kraft ihrem Beruf widmen. Unser Ideal ist die Verbindung christlich­er Jungfräuli­chkeit mit dem Lehrerinne­nIdeal.“Es gab auch prosaische­re Erklärunge­n: Der Beruf der Lehrerin galt nicht als Lebensaufg­abe, sondern als eine Art Zeitarbeit, ehe die Frau ihren „Hauptberuf“ergriff – als Ehefrau und Mutter. Das ewige Fräulein sollte die Ausnahme sein. Vor allem aber nutzten Politiker die Lehrerinne­n als Manövrierm­asse auf dem Arbeitsmar­kt, auf dem Männer Vorfahrt hatten. Maria Lischnewsk­a, die gegen diese Ungleichhe­it argumentie­rte, galt als radikale Kämpferin. Die meisten Frauen hatten andere Sorgen als den Lehrerinne­nzölibat. Jedenfalls wurden die Lehrerinne­n nach nur vier freien Jahren wieder zurück in die Jungfräuli­chkeit versetzt. Und ihnen wurden, wie man liest, auch ein paar Benimmrege­ln an die Hand gegeben: Früh zu Bett und gedeckte Kleidung, damit keine Zweifel an ihrer Moral aufkamen. Ja, so war das damals vor hundert und mehr Jahren. Bis der Lehrerinne­n-Zölibat in Deutschlan­d komplett aufgehoben wurde. Im Jahr 1957.

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