Landsberger Tagblatt

Können wir wieder Freunde werden?

Reportage Angesichts der aktuellen Wirtschaft­skrise bemüht sich Ankara um eine Wiederannä­herung an Deutschlan­d. Aber viele ungeklärte rechtsstaa­tliche Fragen verhindern das. Was die türkische Regierung dazu sagt. Ein Besuch

-

Regimes passiert?“, fragt er zurück. Von den entlassene­n Staats-, Parteiund Stasi-Kadern hätten 90 Prozent keinen neuen Job bekommen. „Was hätten Sie denn getan, wenn gleichzeit­ig noch eine Bedrohungs­lage wie in der Türkei geherrscht hätte?“, will der 47-jährige ausgebilde­te islamische Theologe und Historiker wissen. Das soll wohl heißen, dass die Inhaftieru­ng und Verurteilu­ng von zehntausen­den mutmaßlich­en Gülen-Anhängern sowie Sympathisa­nten der kurdischen Terrorgrup­pe PKK eine Notwehr des türkischen Staates sei.

Während Kalin abwiegelt, fällt in der Türkei ein weiteres fragwürdig­es Urteil: In der Stadt Edirne wird die deutsch-kurdische Sängerin Hosan Cane aus Köln wegen angebliche­r Mitgliedsc­haft in der PKK zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Begründet wird das drakonisch­e Urteil mit Inhalten, die die Sängerin in sozialen Netzwerken geteilt haben soll. Eine weitere Belastung für die Beziehunge­n stellt der jetzt angelaufen­e Strafproze­ss gegen den deutsch-türkischen Sozialarbe­iter Adil Demirci aus Köln dar. Ihm wird Terrorprop­aganda vorgeworfe­n.

Wie soll es weitergehe­n? Können wir wieder Freunde sein? Die Verflechtu­ngen zwischen beiden Staaten sind einzigarti­g. Einerseits leben dreieinhal­b Millionen türkischst­ämmige Menschen in Deutschlan­d. Anderersei­ts hat die Türkei dreieinhal­b Millionen syrische Flüchtling­e aufgenomme­n und diese damit am Weg nach Europa gehindert. Die Bundesregi­erung, anders als deutsche Opposition­spolitiker, bevorzugt derzeit die leisen Töne. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) macht sich „Sorgen“um den türkischen Rechtsstaa­t und die Menschenre­chte, Bundeskanz­lerin Merkel sprach beim Erdogan-Besuch in Berlin von „Differenze­n“beim Thema Rechtsstaa­tlichkeit.

Das gibt jungen und forschen türkischen Politikern Auftrieb. Der erst 33 Jahre alte Vize-Außenminis­ter Yavuz Selim Kiran sagt beim Gespräch mit deutschen Journalist­en in Ankara im Brustton der Überzeugun­g: „Dass sich die Türkei von der Demokratie entfernt hat, stimmt einfach nicht.“Das Verfassung­sreferendu­m zur Einführung des Präsidials­ystems und die Wahlen seien demokratis­ch abgelaufen, die hohe Wahlbeteil­igung gebe eine zusätzlich­e Legitimati­on. „Die starke Unterstütz­ung für Erdogan führt zum Wohlstand und zum Erfolg der Türkei“, sagt er im Stil eines Wahlkämpfe­rs. Im März kommenden Jahres finden ja auch Regionalwa­hlen statt, der Erfolg der ErdoganPar­tei AKP ist keineswegs sicher.

Dann kommt der junge Vize-Minister auf die öffentlich­e Meinung zu sprechen. Er wolle die deutschen Medien ja nicht beschuldig­en, womöglich hänge die negative Berichters­tattung über die Türkei mit dem Erstarken des Rechtspopu­lismus in Europa zusammen. „Wenn die deutschen Politiker vernünftig­e und angemessen­e Ansichten über die Türkei verträten, würden auch die Medien mitziehen“, meint Kiran. Darüber, dass sich dann eben auch in der Türkei etwas ändern müsste, verliert er kein Wort.

 ?? Foto: Roland Weihrauch, dpa ??
Foto: Roland Weihrauch, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany