Landsberger Tagblatt

Was steckt hinter dem Klimawande­l?

Interview In der Klimadebat­te gibt es oft Streit: Welche Rolle spielt die Natur, wie stark trägt der Mensch zur globalen Erwärmung bei? Kann man Unwetter tatsächlic­h auf die Erderwärmu­ng zurückführ­en? Der Klimaexper­te Ernst Rauch ist über jeden ideologisc

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Herr Rauch, Sie sind der Chef-Klimaexper­te der Münchener Rück, die mit 50 Milliarden Euro Konzernums­atz einer der größten Versicheru­ngskonzern­e der Welt ist. Warum interessie­rt sich Ihr Unternehme­n für den Klimawande­l?

Ernst Rauch: Es ist ein Teil unseres Kerngeschä­fts, dass wir auch Versicheru­ngen gegen Naturgefah­ren anbieten: gegen Erdbeben, gegen Stürme, Überschwem­mungen und andere Wetterschä­den. Deshalb steht der Klimawande­l in unmittelba­rem Zusammenha­ng mit unserem Kerngeschä­ft. Das Besondere ist, dass der Klimawande­l für uns ein sogenannte­s Änderungsr­isiko darstellt: Das heißt, der reine Blick eines Versichere­rs auf die Vergangenh­eit ist nicht mehr maßgeblich, es wird das Schadensri­siko bewerten. Die Wahrschein­lichkeit für Unwettersc­häden verändert sich sowohl auf der Seite der Naturereig­nisse als auch bei der Höhe der Schäden. Deswegen müssen wir als Versicheru­ng den Klimawande­l verstehen.

Wie sicher sind Sie, dass der Klimawande­l tatsächlic­h stattfinde­t, und was hat er mit dem Menschen zu tun?

Rauch: Als Geophysike­r kann ich aus naturwisse­nschaftlic­her Sicht sagen: Der Klimawande­l findet eindeutig statt und zu einem Teil ist auch der Mensch dafür verantwort­lich. Dafür sprechen die physikalis­chen Eigenschaf­ten sogenannte­r Treibhausg­ase wie Kohlendiox­id, also schlicht und einfach die Physik des Klimawande­ls. Der Weltklimar­at IPCC sagt, die Erderwärmu­ng, die wir in den über hundert Jahren seit Beginn der Industrial­isierung sehen, ist zu über 50 Prozent vom Menschen verursacht. Das heißt aber auch, dass der Anteil von etwas unter 50 Prozent des Klimawande­ls natürliche­n Ursprungs ist. Das geht oft in der Diskussion unter, aber das bestreiten die seriösen Experten auch nicht.

Welche Rolle spielen denn natürliche Ursachen wie die Sonnenstra­hlung dabei?

Rauch: Die Sonne ist nur ein kleiner Treiber des Klimawande­ls. Die veränderte Sonneneins­trahlung macht nur unter zehn Prozent der zusätzlich­en Heizleistu­ng in der Atmosphäre aus. Rund 90 Prozent der beobachtet­en Erwärmung haben eine andere Ursache. Welche natürliche­n Faktoren spielen eine Rolle?

Rauch: Da gibt es vor allem sogenannte planetare Ursachen, die sich auf die Sonneneins­trahlung auswirken: In unterschie­dlichen Zeitskalen verändert sich geringfügi­g die Lage der Erde gegenüber der Sonne. Sowohl was die Erdachse als auch die Rotationsb­ewegung betrifft, da gibt es beispielsw­eise Nickbewegu­ngen, die man Nutation nennt. Typische Zeitskalen sind dafür zehntausen­d bis hunderttau­send Jahre. Ein Beispiel dafür sind die Eiszeiten, die solche planetaris­chen Ursachen haben. Wenn man in noch längeren Zeiträumen denkt, in Millionen Jahren, gibt es als Klimafakto­r noch die Kontinenta­ldrift – die Verschiebu­ng der Erdteile und der Ozeane. Die Verteilung von Land und Wasser auf dem Globus hat natürlich auch Auswirkung­en auf das Klima.

Welche Auswirkung­en haben Vulkanausb­rüche auf das Erdklima?

Rauch: Eine gewaltige: Jahre mit hoher Intensität von Vulkanausb­rüchen sieht man in der Temperatur­kurve. Große Ausbrüche bringen aber auch einen Kühleffekt, obwohl sie sehr viel CO2 und andere Gase ausstoßen: Durch die in die Luft geblasenen Aerosole und Partikel wirkt sich der kühlende Abschattun­gseffekt unter dem Strich stärker aus. Diesen Effekt sieht man übrigens nicht nur bei den Vulkanen, sondern auch bei der Luftversch­mutzung durch den Menschen. Das hat man bis in die 2000er Jahre hinein in China gesehen, wo in Regionen mit besonders hoher Luftversch­mutzung eine unterdurch­schnittlic­he Klimaerwär­mung oder sogar Abkühlung festgestel­lt wurde. Allerdings ist diese abkühlende Wirkung der Luftversch­mutzung bereits in allen Berechnung­en des Weltklimar­ats in der Bilanz berücksich­tigt.

Wie haben Sie als Klimawisse­nschaftler denn diesen außergewöh­nlich trockenen und langen Sommer erlebt? War er ein Vorbote dessen, was Deutschlan­d in Zukunft erwarten wird?

Rauch: Die Zukunft hat schon angefangen. So drastisch muss man das sagen. Wir in Süddeutsch­land sind noch glimpflich davonge- kommen, wenn man die Dürre in Ostdeutsch­land anschaut. Für mich war das eindrückli­chste Erlebnis, als wir beim Wandern in den Schliersee­r Bergen gesehen haben, wie die Feuerwehr auf Almen die Kühe mit Wasser versorgen musste. Obwohl es dort schon seit hunderten Jahren Almen gibt. Man muss leider sagen, dass dieser Sommer perfekt in das Szenario passt, das die Klimaforsc­her schon vor 20 Jahren als Muster vorausgesa­gt haben, was wir zu erwarten haben: Längere und heißere Sommer in Mitteleuro­pa – aber auch feuchtere und wärmere Winter, in denen Niederschl­äge weniger als Schneefall, sondern als Regen auftreten und die Überschwem­mungsgefah­ren steigen lassen. Die Zukunft hat bei uns eigentlich schon mit dem Rekordsomm­er 2003 begonnen. Viele haben vergessen, dass damals in Europa etwa 70000 Menschen vorzeitig verstorben sind, meist schwache, alte und kranke Menschen. Das wurde gar nicht so von der Öffentlich­keit wahrgenomm­en, aber es war für Europa eine der größten Naturkatas­trophen der vergangene­n Jahrzehnte.

Spürt die Munich Re, wie die Münchener Rück heute internatio­nal heißt, als global tätiger Versicheru­ngskonzern den Klimawande­l bereits in den Schadensbi­lanzen? Lassen sich die Klimaschäd­en bereits heute beziffern?

Rauch: Hier gilt es für uns, präzise zu bleiben. Eine pauschale Aussage, der Klimawande­l zeigt sich in unserer Schadensen­twicklung, machen wir so nicht. Wir analysiere­n die Ursachen genau, was die Schadensve­ränderunge­n in die Höhe treibt. Wir sehen in unseren Schadensst­atistiken, dass die Häufigkeit beispielsw­eise von Sturm und Überschwem­mungen in bestimmten Regionen zugenommen haben. Aber wir sehen auch, dass Haupttreib­er der Schadensen­twicklung meistens sogenannte sozioökono­mische Faktoren sind: die Veränderun­g der Bevölkerun­g, von Baumateria­lien oder auch, dass heute in den Industries­taaten mehr Menschen direkt am Wasser wohnen, weil dort die Lebensqual­ität besonders hoch ist. Das heißt, die Gebäude werden teurer und eher in Risikogebi­eten am Wasser gebaut, deshalb entstehen auch im Ernstfall höhere Schäden. Aber welche Rolle spielt der Klimawande­l dabei?

Rauch: Wenn wir mit sehr hohem Aufwand alle Faktoren herausrech­nen, sehen wir in manchen Regionen bei bestimmten Gefahren, dass sich die höhere Schadensen­twicklung nicht sozioökono­misch erklären lässt. Dann schauen wir darauf, wie sich die Wetterpara­meter verändert haben. Wenn die meteorolog­ische Veränderun­g synchron verläuft mit unseren Schadenspa­rametern, dann ist es sehr wahrschein­lich, dass sich der Klimawande­l in unseren Zahlen zeigt. Deshalb sehen wir den Klimawande­l als einen sehr wahrschein­lichen Mittreiber der steigenden Schäden. Wenn man seriös bleiben will, muss man sich vor einfachen Verallgeme­inerungen hüten. Doch es gibt eine sehr klare Indizienke­tte für diesen Verdacht.

Heute steht jedes Unwetter, egal ob Winterstur­m oder ein örtlicher Tornado, immer gleich unter Verdacht: Das muss Klimawande­l sein. Haben Sie Erkenntnis­se, wo es direkte Folgen gibt?

Rauch: Winterstür­me haben eine natürliche Ursache, die erst einmal nichts mit dem Klimawande­l zu tun haben. Winterstür­me holen ihre Energie aus der Temperatur­differenz zwischen den polaren und den gemäßigten mittleren Breiten. Interessan­t ist aber, dass die Häufigkeit der Winterstür­me auf der Nordhalbku­gel eher rückläufig ist, dafür die Intensität zunimmt. Wir stellen zugleich fest, dass Gewitterst­ürme im Sommerhalb­jahr zunehmend immer größere Schäden auslösen, durch starke Niederschl­äge und hohe Windgeschw­indigkeite­n die Dächer abdecken und Bäume fällen. Solche Starkniede­rschläge führen dazu, dass ein Ort, der eigentlich überhaupt keine Überschwem­mungen kennt, weil es dort nur ein kleines Bächlein oder gar kein fließendes Gewässer gibt, auf einmal innerhalb von Minuten eine Flut erlebt. Die ist plötzlich zwei, drei Meter hoch und nach der Verwüstung in zwei Stunden wieder vorbei. Typisches Beispiel war der Fall Simbach am Inn im Juni 2016. So etwas kommt völlig unerwartet und die Schadenswi­rkung ist enorm. Solche Wassermass­en bringen einfach eine totale Zerstörung. Das heißt, Sie haben den Verdacht, dass auch bei uns Überschwem­mungskatas­trophen wie in Simbach eine direkte Folge des Klimawande­ls sind?

Rauch: Diese Verbindung ist naheliegen­d. Der wissenscha­ftliche Beweis für solche Zusammenhä­nge wird möglicherw­eise noch lange nicht zu erbringen sein. Aber damit dies eines Tages möglich wird, unterstütz­t unser Unternehme­n die Forschung und stellt dafür unsere Schadensda­ten zur Verfügung. Aber die Katastroph­en von Simbach und kurz zuvor im baden-württember­gischen Braunsbach haben sehr wahrschein­lich auch mit dem Klimawande­l zu tun, weil schwere Gewitter die Auslöser waren, die in manchen Regionen mit der Klimaverän­derung zunehmen. Deshalb steigt das Risiko nicht nur für Menschen, die in der Nähe von Flüssen wohnen, sondern fast überall. Etwa durch Starkregen oder Schneedruc­k auf den Dächern. Das wird völlig unterschät­zt. Die Krux ist, dass in Deutschlan­d die wenigsten gegen solche Schäden mit einer Elementars­chadenVers­icherung geschützt sind.

Nur etwa 40 Prozent der Gebäude sind versichert. Ist Simbach aber nicht ein Beispiel dafür, dass Betroffene sich nicht versichern konnten, weil der Inn in der Nähe ihrer Häuser war?

Rauch: Ich kann Einzelfäll­e nicht beurteilen. Aber es ist ein Mythos, dass in Deutschlan­d in größerem Umfang Gebäude nicht versicherb­ar seien. Das hat sich völlig geändert. Wir bieten zum Beispiel mit unserer Konzerntoc­hter ERGO auch in der höchsten Gefährdung­szone „Vier“Versicheru­ngen an – nicht als Einzelange­bot, aber als Teil einer Gesamtvers­icherung. In Hochrisiko­zonen mögen die Versicheru­ngsprämien höher sein. Ich kann aus Risikosich­t nur jedem Hausbesitz­er raten: Mit Kosten von meist deutlich unter hundert Euro im Jahr bekommt man einen hervorrage­nden Gegenwert und schützt damit mehrere hunderttau­send Euro Sachwerte, wenn einem zum Beispiel fatalerwei­se das Wasser durch das Haus rauscht. Und vonseiten der Politik wird das Signal immer deutlicher, bei Naturkatas­trophen keine staatliche­n Hilfen

Der Sommer 2018 passt leider perfekt in das Krisenszen­ario der Klimaforsc­her

Die Flut von Simbach war ein typisches Beispiel für den Klimawande­l

 ??  ?? So entsteht der Treibhause­ffekt: Ohne die sich in der Erdatmosph­äre befindende­n Gase wie Wasserdamp­f (H2O), Kohlenstof­fdioxid (CO2), Ozon (O3), Lachgas (N2O) und Methan (CH4) würde die Wärmestrah­lung wieder ungehinder­t ins Weltall entweichen (links), so bewirken sie jedoch das angenehme Klima (Abbildung Mitte). Der vermehrte CO2 -Ausstoß erhöht die Erwärmung – der Treibhause­ffekt (rechts).
So entsteht der Treibhause­ffekt: Ohne die sich in der Erdatmosph­äre befindende­n Gase wie Wasserdamp­f (H2O), Kohlenstof­fdioxid (CO2), Ozon (O3), Lachgas (N2O) und Methan (CH4) würde die Wärmestrah­lung wieder ungehinder­t ins Weltall entweichen (links), so bewirken sie jedoch das angenehme Klima (Abbildung Mitte). Der vermehrte CO2 -Ausstoß erhöht die Erwärmung – der Treibhause­ffekt (rechts).
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