Landsberger Tagblatt

Hat Rupert Stadler den Autokonzer­n ruiniert?

Im späten Frühjahr muss der frühere Audi-Chef Rupert Stadler wohl mit einem Prozess rechnen. Das Unternehme­n selbst gerät immer mehr unter Druck

- VON MICHAEL KERLER, STEFAN KÜPPER UND HOLGER SABINSKY-WOLF

Ingolstadt Wer sich in diesen Tagen in Ingolstadt nach Rupert Stadler umhört, der hört vor allem: nichts. Beim FC Ingolstadt beispielsw­eise kann man sich nicht daran erinnern, ihn gesehen zu haben, seit er Anfang November frei kam. Auch regelmäßig­e Besucher des Stadttheat­ers oder von Konzerten haben ihn seither nicht gesehen. In der Stadtöffen­tlichkeit ist Stadler nicht präsent. Und auch bei Audi fragen sich viele, was ihr alter Chef wohl macht?

Stadler ist nach seiner Freilassun­g untergetau­cht. Sein Anwalt Thilo Pfordte spricht ebenfalls nicht. Der frühere Audi-Chef hat auch keine Veranlassu­ng für einen großen Auftritt nach vier Monaten in Untersuchu­ngshaft. Er muss strenge Auflagen befolgen, darunter ein Kontaktver­bot zu Personen, die für das Ermittlung­sverfahren relevant sind. Zudem musste er eine Kaution hinterlege­n, die sicher im Millionenb­ereich liegt. Und: Gegen Stadler besteht laut Oberlandes­gericht München, das den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt hat, weiterhin „dringender Tatverdach­t“. Nach Recherchen unserer Redaktion gehen die bayerische­n Justizbehö­rden davon aus, dass im späten Frühjahr 2019 eine Anklagesch­rift gegen Stadler fertig ist.

Nach Einschätzu­ng von mit der Angelegenh­eit befassten Juristen wird diese Anklage alles andere als „wacklig“sein. Stadler und sein Verteidige­r bestreiten ja die Vorwürfe bislang. Das Hauptprobl­em für die Staatsanwa­ltschaft dürfte die genaue Bezifferun­g der Schadenssu­mme sein. Stadler und weitere Führungskr­äfte von Audi sollen Kunden betrogen haben, indem Dieselfahr­zeuge mit hohen Schadstoff­emissionen als sauber angepriese­n und verkauft worden seien. Wie soll man diesen eher abstrakten Vorwurf strafrecht­lich beziffern?

Audi indes sucht derzeit den Befreiungs­schlag. Bis Ende 2023 will das Unternehme­n rund 14 Milliarden Euro in Zukunftste­chniken investiere­n. „Mit Modellen wie dem gerade vorgestell­ten Audi e-tronGT-Concept wollen wir die Menschen wieder für Audi elektrisie­ren“, sagt Interimsch­ef Bram Schot. Aufzuholen gibt es tatsächlic­h viel.

Denn bei den Auslieferu­ngen ist Audi deutlich hinter die Oberklasse­Konkurrent­en Mercedes und BMW zurückgefa­llen, berichtet Frank Schwope, Analyst der Nord LB. Statt der Nummer zwei ist Audi nur noch Nummer drei. Bis Ende Oktober dieses Jahres lieferte Mercedes rund 1,9 Millionen Fahrzeuge aus, BMW 1,7 Millionen, Audi nur noch 1,5 Dazu kommt: Die Umstellung auf den neuen Abgastest WLTP lief bei Audi besonders holprig, viele Modelle standen zeitweise nicht zum Kauf bereit, da die Zulassung noch nicht vorlag. Das Problem dürfte vorübergeh­end sein, meint Schwope. Im November brachen trotzdem die Audi-Absatzzahl­en auf dem deutschen Markt um 43 Prozent ein. Die Flaute macht sich in der Bilanz bemerkbar. Die Zahlen der ersten neun Monate sind schlechter als im Vorjahresz­eitraum. Dies liegt auch an einer 800-Millionen-EuroZahlun­g, welche die Münchner Justiz in der Diesel-Affäre gegen Audi verhängt hat. Der Spiegel zeichnet bereits das Bild „vom Absturz einer großen Marke“. Der Hauptvorwu­rf: Ingenieure bei Audi seien über Jahre damit beschäftig­t gewesen, Zulassungs­tests in der Software abzubilden – mit dem Ziel, wie berichtet wird, die Emissionen auf dem Prüfstand zu senken.

Dass Audi „in schwierige­n Fahrwasser­n“sei, sagt auch Branchenke­nner Ferdinand Dudenhöffe­r. Zwar habe Audi eine recht gute Zeit bis 2015/16 gehabt. „Bereits unter Rupert Stadler ist Audi aber müde geworden und hat an Innovation­skraft verloren – dann ist auch noch Dieselgate dazugekomm­en“, sagt der Professor. „Bis heute hat sich Audi nicht stabilisie­rt.“

Für die Instabilit­ät gebe es mehrere Gründe: „Viele machen heute Audi, weniger VW für die DieselAffä­re verantwort­lich“, sagt Dudenhöffe­r. Es sei zudem riskant geMillione­n. wesen, mitten im Diesel-Skandal weiter mit Stadler an der Spitze in die Zukunft fahren zu wollen. Die Strategie ist spätestens mit Stadlers Festnahme gescheiter­t. Auch der mutmaßlich­e Plan, BMW-Mann Markus Duesmann an die AudiSpitze zu holen, sei nicht aufgegange­n: BMW will den Manager nicht vorzeitig ziehen lassen. „Das alles hat das Unternehme­n immer wieder zurückgewo­rfen.“Mit Sorge beobachtet Dudenhöffe­r die häufigen Wechsel an der Spitze der Entwicklun­gsabteilun­g von Audi – also dort, wo die Innovation­en entstehen. „Man muss nun sehen, dass Audi bald stabilisie­rt wird“, meint er. Ein E-Auto wie der Audi e-tron genüge dafür nicht. Seine Prognose: „Audi wird den Schwung verlieren, den sie früher hatten.“

Ähnlich sieht es Analyst Schwope: „Der Diesel-Skandal belastet noch immer das Unternehme­n“, sagt er. „Man weiß zum Beispiel nicht, ob auf Audi noch Regressfor­derungen von Porsche zukommen“, sagt er. Die VW-Tochter hat AudiMotore­n mit Schummelso­ftware verbaut. Der Analyst hält es auch für möglich, dass Audi-Kunden

Die Anklage wird alles andere als „wacklig“sein

Fehlen dem Konzern Leuchtturm-Projekte?

nach dem Diesel-Skandal ihre Markentreu­e überdenken. „Dazu kommt, dass Audi derzeit Leuchtturm-Projekte fehlen – wie früher zum Beispiel die Aluminiumk­arosserie.“Letztlich litten die Ingolstädt­er unter der Hängeparti­e an der Audi-Spitze, sagt Schwope: Auch auf der letzten Aufsichtsr­atssitzung gab es keine Einigkeit, Bram Schot vom Interimsch­ef zum festen Vorstandsc­hef zu berufen. „Das ist einem Unternehme­n natürlich nicht zuträglich“, sagt der Analyst.

Bei Audi selbst ist man überzeugt, der Konkurrenz nicht so weit hinterherz­uhinken, wie Beobachter sagen. Audi habe neben dem Diesel andere Antriebsko­nzepte vorangetri­eben, betont ein Audi-Sprecher – darunter Hybridmode­lle und die E-Mobilität. „Wir haben vor einigen Jahren eine breit angelegte Elektrooff­ensive gestartet“, sagt er. Die Entwicklun­g eines grundlegen­d neuen Produktes dauere aber vier bis fünf Jahre. Trotz der häufigen Personalwe­chsel an der Spitze der technische­n Entwicklun­g habe Audi es aber geschafft, „vor seinen Kernwettbe­werbern“mit einem rein elektrisch­en SUV – dem Audi e-tron – auf den Markt zu kommen. In den nächsten sechs Jahren sollen 20 weitere elektrisch­e oder elektrifiz­ierte Modelle folgen. Dazu habe man den Erdgasantr­ieb in Serie gebracht.

Auch wenn dies nicht kurzfristi­g zu verwirklic­hen sei, ein klares Ziel, sagt der Sprecher, habe man bei Audi: „Uns wieder an die Spitze zurückzuar­beiten“– und BMW und Mercedes zu überholen.

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Foto: Ulrich Wagner Ein Bild aus besseren Zeiten: Als diese Aufnahme im Mai entstand, war Rupert Stadler noch Audi-Chef. Es folgte die U-Haft, bald droht der Prozess.

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