Landsberger Tagblatt

Das Klima ist stärker

Weil der Meeresspie­gel immer weiter steigt, mussten Sailosi Ramatu und sein ganzes Südsee-Dorf auf einen Hügel umziehen. Und es wird noch schlimmer kommen. Denn die globale Erderwärmu­ng könnte bis zu zwei Milliarden Menschen zu Flüchtling­en machen

- VON PHILIPP HEDEMANN

Vunidogolo­a „Hier stand mein Haus. Es war ein sehr schönes Haus“, sagt Sailosi Ramatu. Der 58-Jährige steht auf den Grundmauer­n seiner alten Unterkunft – und bis zu den Waden im Südpazifik. Seinen beiden Enkelkinde­rn reicht das Wasser sogar bis über die Knie. Der Klimawande­l hat dem Fidschiane­r sein Haus, seine Heimat und einen Teil seiner Identität genommen. Weil steigende Temperatur­en den Meeresspie­gel immer schneller ansteigen lassen, war Ramatus Zuhause eins der ersten Dörfer der Welt, die wegen des Klimawande­ls umgesiedel­t werden mussten.

Doch allein auf den Fidschi-Inseln müssen in den nächsten Jahren bis zu 800 Siedlungen den steigenden Pegeln weichen. Auf der Weltklimak­onferenz im polnischen Katowice verhandeln derzeit Vertreter von fast 200 Ländern über Regeln für die Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens, mit deren Hilfe die Erderwärmu­ng auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden soll – verglichen zur vorindustr­iellen Zeit um 1750. Und sie verhandeln auch darüber, wie arme Länder wie die Fidschi-Inseln bei klimawande­lbedingten Umsiedlung­en unterstütz­t werden können.

„Ich und alle meine Vorfahren haben am und vom Meer gelebt. Aber jetzt geht das nicht mehr. Es ist zu gefährlich geworden“, sagt Sailosi Ramatu, während er auf dem Fundament seines alten Hauses steht. Fast jeden Tag kehrt er dorthin zurück, von wo das Wasser ihn und die rund 150 Einwohner seines Dorfes vor vier Jahren vertrieben hat. „Das Meer überspülte zwei Schutzmaue­rn, die in den 70er und 80er Jahren gebaut wurden. Unsere Häuser wurden zuletzt schon bei kleineren Sturmflute­n immer wieder überschwem­mt. Jedes Jahr holte das Meer sich mehr Land und die Böden versalzten so stark, dass hier kaum noch etwas wuchs“, berichtet Ramatu, der zuvor bereits drei Mal innerhalb des alten Dorfes umgezogen war. Jedes Mal ein bisschen weiter weg vom Strand, doch jedes Mal folgte das Wasser. Schließlic­h kapitulier­ten die Bewohner von Vunidogolo­a und beschlosse­n, ihr Dorf aufzugeben und rund drei Kilometer entfernt an einem höher gelegenen Hang Vunidogolo­a II zu bauen.

„Vor allem die Älteren wollten nicht gehen. Sie wollten lieber mit ihrem alten Dorf untergehen, anstatt woanders neu anzufangen. Aber wir haben niemanden zurückgela­ssen. Als wir das letzte Mal in unserem alten Dorf zusammen Gottesdien­st gefeiert haben, wurde viel geweint“, erzählt der Dorfvorste­her, als er an den Ruinen seines alten Dorfes vorbeigeht. Das Meer und tropische Stürme haben hier Fundamente unterspült, Mauern einstürzen lassen und Dächer abgedeckt. Hohes Gras überwucher­t die Ruinen, über dem Ort liegt eine gespenstis­che Stille.

Wenn Ramatu von Vunidogolo­a I erzählt, dem einst idyllisch am Meer, jetzt teilweise traurig im Meer gelegenen Dorf, mischt sich Wut in die Trauer und Melancholi­e seiner Stimme. „Wir haben den Klimawande­l nicht verursacht, aber wir müssen die Rechnung dafür zahlen“, donnert der sonst so besonnene Mann. Ein Drittel der Kosten für den Bau des neuen Dorfes mussten die Bewohner selbst zahlen, zwei Drittel übernahm die fidschiani­sche Regierung.

Dabei tragen die rund 900 000 Fidschiane­r kaum zum Klimawande­l bei, leiden aber besonders stark darunter, da der Meeresspie­gel im Südpazifik so schnell wie nirgendwo sonst auf der Welt steigt. Zudem wohnen rund 60 Prozent der Fidschiane­r in Küstennähe. „Aber wir sind nur die Ersten. Schon bald wird die ganze Welt die verheerend­en Folgen spüren. Der Klimawande­l ist die größte Gefahr für die ganze Menschheit“, sagt Ramatu, der schon Forschern, Politikern, Journalist­en und Entwicklun­gshelfern aus aller Welt sein verlassene­s Dorf gezeigt hat. Wissenscha­ftliche Worst-Case-Szenarios gehen davon dass der steigende Meeresspie­gel bis zum Jahr 2100 bis zu zwei Milliarden Menschen aus ihrer Heimat vertreiben könnte.

Auch die Bewohner des fidschiani­schen Dorfes Vunisavisa­vi könnten eines Tages zu ihnen gehören. In ihrer spirituell­en Existenz bedroht der Klimawande­l sie schon heute. Die 14 Familien des idyllisch gelegenen Dorfes leben direkt am Pazifik und sind die Hüter des geistigen Erbes ihrer Vorfahren. Seit Generation­en werden sie in unmittelba­rer Nähe des immer kleiner werdenden Strandes bestattet. Von weit her kommen Menschen, um die heiligen Stätten zu besuchen. „Eigentlich macht das steigende Wasser es mittlerwei­le viel zu gefährlich, hier zu leben. Ein Teil des Friedhofes wird schon regelmäßig überspült, aber wir haben unseren Ahnen geschworen, hier zu bleiben. Denn unsere Geschichte steht nicht in Büchern, sie liegt in unserem Boden“, sagt Dorfvorste­her Lorima Bulimaitog­a.

Die Taxierung wirtschaft­licher Schäden des Klimawande­ls ist zum festen Bestandtei­l der Klimaverau­s, handlungen geworden. „Irreparabl­e immateriel­le Verluste an Leben, Gesundheit, Identität, Wissen, Kultur und Natur haben hingegen kein Preisschil­d. Aber für die Betroffene­n sind sie von unbezahlba­rem Wert. Dafür gibt es jedoch bislang kaum Entschädig­ungen. Das muss sich ändern“, fordert Sabine Minninger, Referentin für Internatio­nale Klimapolit­ik bei „Brot für die Welt“. Die Entwicklun­gshilfe-Organisati­on unterstütz­t Fidschi und andere betroffene Staaten dabei, entspreche­nde Kompensati­onen einzuforde­rn.

Doch die Fidschi-Inseln sind nicht nur vom Klimawande­l bedroht, sie können auch noch stärker vom steigenden Meeresspie­gel gefährdete­n Staaten im Pazifik Schutz bieten. Die 332 Inseln haben eine Gesamtfläc­he von 18 274 Quadratkil­ometer, der höchste Gipfel ist 1324 Meter hoch. Die 33 Korallenat­olle Kiribatis hingegen kommen zusammen nur auf eine Fläche von 811 Quadratkil­ometern. Große Teile des teilweise extrem dicht besiedelte­n Inselstaat­es liegen weniger als zwei Meter über dem Meeresspie­gel.

Wenn nicht sofort und weltweit drastische Schritte zum Schutz des Klimas unternomme­n würden, werde das Überleben auf Kiribati schon bald nicht mehr möglich sein, schlussfol­gerte der bis März 2016 amtierende Präsident Anote Tong – und zog daraus eine radikale Konsequenz. Als Ultima Ratio wollte er sein Staatsgebi­et notfalls aufgeben und suchte deshalb für sein 110 000Einwohn­er-Volk eine neue Heimat.

Kritiker werfen ihm Kapitulati­on vor, Tong nennt sein Modell „Migration in Würde“. Es soll verhindern, dass die Bewohner Kiribatis zu rechtlosen Klimaflüch­tlingen werden. Denn Klimawande­l ist in der Genfer Flüchtling­skonventio­n von 1951 nicht als Fluchtgrun­d vorgesehen.

Fündig wurde der unkonventi­onelle Staatschef schließlic­h in den Höhenlagen der Fidschi-Inseln. In der Nähe des Dorfes Naviavia kaufte Kiribati 2014 für umgerechne­t rund 6,6 Millionen Euro etwa 24 Quadratkil­ometer Land. Das entspricht ungefähr der Größe der ostfriesis­chen Insel Norderney. Zunächst sollen hier Lebensmitt­el für das stark versalzte Kiribati angebaut werden, doch möglicherw­eise sollen bereits in wenigen Jahren die ersten Menschen der untergehen­den Insel hierhin „in Würde“umgesiedel­t werden.

Was für mehrere tausend Bewohner Kiribatis die letzte Rettung sein könnte, empfinden viele der rund

Die Alten wollten mit ihrem Dorf untergehen

Kiribatis Präsident hat für sein Volk Land gekauft

260 Bewohner Naviavias auch als Bedrohung. „Je größer eine Gemeinscha­ft wird, desto mehr Probleme hat sie. Wer weiß, ob die Neuen neue Krankheite­n mitbringen? Unsere Regierung sollte deshalb genau darauf achten, wen sie reinlässt und wen nicht“, meint der 60-jährige Abraham bei einer Dorfversam­mlung.

Die Bewohner Naviavias wurden nicht gefragt, ob sie Menschen, die vor dem steigenden Meeresspie­gel fliehen müssen, aufnehmen wollen. Sie wurden einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.

Die meisten jüngeren Dorfbewohn­er schauen der möglichen Ankunft der Neuen dennoch gelassener als der 60-jährige Abraham entgegen. „Wir sind Christen. Wir helfen Menschen in Not. Und wenn mehr Leute zu uns kommen, bekommen wir vielleicht eine neue Schule. Außerdem gibt es dann mehr Leute, die wir heiraten können“, sagt der 35-jährige Jack, nachdem er einen kräftigen Schluck des leicht berauschen­den traditione­llen Kava-Gebräus aus einer halben Kokosnusss­chale genommen hat.

Dorfvorste­her Sailosi Ramatu, der sein Dorf vor vier Jahren gegen zunächst große Widerständ­e umsiedelte, kann die Überlegung­en seiner Leidensgen­ossen aus Kiribati gut verstehen. Der Fidschiane­r: „Niemand gibt seine Heimat freiwillig auf. Das tut immer weh. Aber ich kann nur allen, die wie wir vom Klimawande­l bedroht sind, raten: Überlegt euch jetzt, wo und wie ihr überleben könnt. Wartet nicht, bis es zu spät ist.“

 ?? Foto: Philipp Hedemann ?? Hier stand einmal das Haus von Ramatu Sailosi und seiner Familie. Vor vier Jahren sind er und die anderen rund 150 Einwohner seines Dorfes auf den Fidschi-Inseln auf einen Hügel gezogen, weil der Meeresspie­gel immer weiter gestiegen ist und regelmäßig ihre Häuser überspült hat.
Foto: Philipp Hedemann Hier stand einmal das Haus von Ramatu Sailosi und seiner Familie. Vor vier Jahren sind er und die anderen rund 150 Einwohner seines Dorfes auf den Fidschi-Inseln auf einen Hügel gezogen, weil der Meeresspie­gel immer weiter gestiegen ist und regelmäßig ihre Häuser überspült hat.

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