Landsberger Tagblatt

„Es geht um das Überleben der Menschheit“

Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) fordert, mit dem Klimaschut­z endlich ernst zu machen. Auch Deutschlan­d erfüllt Ziele des Pariser Abkommens nicht. Warum er trotz Trump mit Unterstütz­ung aus den USA rechnet

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Herr Müller, Sie kehren gerade vom Weltklimag­ipfel in Polen zurück. Sind von dem Treffen mehr als nur Lippenbeke­nntnisse zu erwarten?

Müller: Der Klimagipfe­l von Kattowitz muss die Trendwende bringen. Der Ausstoß von Treibhausg­asen ist auf Rekordhöhe und steigt weiter. Die Entwicklun­g der drei Jahre, die seit dem Klimagipfe­l von Paris vergangen sind, ist absolut nicht befriedige­nd. Von Kattowitz muss daher ein Signal ausgehen, die Beschlüsse von Paris verbindlic­h und vor allem schneller umzusetzen.

Weltweit scheint die Bereitscha­ft zum Klimaschut­z derzeit aber eher zurückzuge­hen. Trügt der Eindruck? Müller: In der Tat ist die Lage sehr ernst. Das Ziel, die Erderwärmu­ng auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, gerät zunehmend außer Sichtweite. Von 184 Ländern, die das Pariser Klimaschut­zabkommen unterzeich­net haben, erfüllen derzeit nur 17 ihre Zusagen.

Auch Deutschlan­d ist längst nicht mehr das Klimaschut­z-Musterland ... Müller: Leider bleibt auch Deutschlan­d hinter seinen selbst gesteckten Zielen zurück. Aber das werden wir aufholen. Mit dem Klimaschut­zgesetz, das die Bundesregi­erung im kommenden Jahr verabschie­den wird, werden wir den Schritt von der Freiwillig­keit zur Verbindlic­h- keit vollziehen. Dann werden die Klimaschut­zmaßnahmen überprüfba­r. Diese Verbindlic­hkeit muss künftig in allen Staaten gelten. Dazu soll in Kattowitz der Fahrplan erstellt werden.

Was droht, wenn das nicht gelingt? Müller: Wir müssen verstehen, dass der Klimaschut­z die Überlebens­frage der Menschheit ist. Die reichsten zehn Prozent der Welt verursache­n 50 Prozent der CO2-Emissionen. Hauptleidt­ragende sind aber die Menschen in Entwicklun­gsländern mit den niedrigste­n Emissionen. Sie verlieren durch den Klimawande­l ihre Lebensgrun­dlage. Kürzlich habe ich die Tschad-Region besucht. Dort ist seit drei Jahren kein Regen mehr gefallen. Die Pflanzen sind verdorrt, Tiere liegen tot am Straßenran­d. Eine absolute Katastroph­e für die Menschen. Über 20 Millionen Klimaflüch­tlinge sind allein in dieser Region unterwegs.

Wichtig wäre, aus der Kohleverbr­ennung zur Energieerz­eugung auszusteig­en. Warum bewegt sich hier so wenig? Müller: Das zeigt sich gerade hier in Kattowitz. Im Zentrum des schlesisch­en Kohlerevie­rs kann man buchstäbli­ch riechen, welche große Rolle die Kohle noch spielt. Polen deckt 80 Prozent seines Energiebed­arfs aus Kohle. Deswegen müssen alle europäisch­en Länder jetzt in Sachen Kohleausst­ieg ihre Hausaufgab­en erledigen. Auch, um mit gutem Beispiel in der Welt voranzugeh­en. Es ist ja richtig, dass wir über den Ausstieg aus der Kohlekraft diskutiere­n. Doch viel entscheide­nder ist es, zu verhindern, dass Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder überhaupt erst in die Kohle einsteigen.

Um welche Dimensione­n geht es? Müller: 600 Millionen Afrikaner haben noch keinen Stromansch­luss. Die Bevölkerun­g wird sich bis 2050 auf dann 2,5 Milliarden verdoppeln. Wenn zukünftig jeder Haushalt Strom auf der Basis von Kohle bekommt, müssten 1000 neue Kohlekraft­werke gebaut werden. Alle Klimaziele würden damit in weite Ferne rücken. In Indien oder China ist die Lage ähnlich. Die Zukunft unseres Klimas entscheide­t sich dort.

Lässt sich überhaupt verhindern, dass andere Länder auf Kohlestrom setzen? Müller: Natürlich wollen alle Elektrizit­ät. Wir können sie aber nur zum Verzicht auf Kohle bewegen, wenn wir sie beim Aufbau klimafreun­dlicher Zukunftste­chnologien unterstütz­en. Afrika etwa darf nicht der schwarze Kontinent der Kohle werden, sondern muss der grüne Kontinent der erneuerbar­en Energien werden.

Was tut Deutschlan­d, um Klima- schutz in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern zu fördern?

Müller: Für Projekte in den armen Ländern gibt es den internatio­nalen Grünen Klimafonds. In Kattowitz habe ich für die Bundesregi­erung eine Verdoppelu­ng der deutschen Mittel um weitere 1,5 Milliarden Euro zugesagt.

Aus dem Klimafonds bedienen sich aber auch die Industrie-Supermacht China oder der Ölstaat Bahrain? Ist das nicht bizarr?

Müller: Ja, das Geld ist für die Armen gedacht, nicht für reiche Ölproduzen­ten, die eigentlich einzahlen müssten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich das ändert.

Sind die Mittel aus dem Klimafonds überhaupt mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein?

Müller: Wir finanziere­n damit den Umstieg in klimaschon­ende Technologi­en. Deswegen setze ich mich auch dafür ein, dass andere Staaten ihre Zusagen für den Klimafonds erhöhen. Wir brauchen aber darüber hinausgehe­nde Impulse. Deshalb habe ich in Kattowitz eine neue „Allianz für Entwicklun­g und Klima“gestartet, um zusätzlich­e private Investitio­nen für Klimaschut­zprojekte in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern zu gewinnen. Über 70 Unternehme­n, Behörden und Organisati­onen streben an, klimaneutr­al zu werden, indem sie Emissionen vermeiden, reduzieren und den verblieben­en Rest kompensier­en. Ich hoffe, dass es bald 700 sind.

Die USA wollen sich aus dem Pariser Abkommen zurückzieh­en ...

Müller: … was sehr bedauerlic­h ist, denn die USA gehören zu den Staaten, die am meisten klimaschäd­liche Gase ausstoßen. Es gibt aber Hoffnung, denn die USA sind nicht nur ihr Präsident Trump. Viele Gouverneur­e von Bundesstaa­ten, Unternehme­r und Bürger stehen hinter dem internatio­nalen Klimaschut­z.

Sie haben vorgeschla­gen, nur alle zwei Jahre Klimakonfe­renzen abzuhalten. Würde das der Sache nicht schaden? Müller: Im Gegenteil. Wir müssen schneller und effektiver werden. Auf Experteneb­ene könnte man sich in einem kleineren Format treffen, um ein klares Regelbuch mit einheitlic­hen Standards kontinuier­lich weiterzuen­twickeln und die Umsetzung konsequent zu überwachen. Die Staats- und Regierungs­chefs würden nur alle zwei Jahre zusammenko­mmen. Dann wäre der Druck größer, bis zur nächsten „großen Konferenz“echte Fortschrit­te zu erzielen. Wir sollten den Rückzug Brasiliens als Gastgeber im kommenden Jahr auch als Chance sehen, auf einen solchen zweijährig­en Turnus umzustelle­n. Interview: Bernhard Junginger

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Gerd Müller (63, CSU) aus Kempten ist seit 2013 Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g.
Foto: Ulrich Wagner Gerd Müller (63, CSU) aus Kempten ist seit 2013 Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g.

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