Landsberger Tagblatt

„Wir wissen, was gut für unsere Schulen ist“

Deutschlan­ds Ministerpr­äsidenten legen den Digitalpak­t mit dem Bund auf Eis, verzichten auf fünf Milliarden Euro. Sie sagen: Der Bund hat keine Ahnung von Schulpolit­ik. Bayerns Kultusmini­ster Piazolo vertraut auf seinen eigenen Plan

- VON SARAH RITSCHEL

München Manchmal kennen Lehrer ihre Schüler besser als deren eigene Eltern. Und ein im Land verwurzelt­er Kultusmini­ster kennt seine Schulen besser als irgendein Bundesmini­ster in Berlin – so jedenfalls scheinen die Bildungsch­efs der Bundesländ­er zu denken, die gestern die fünf Milliarden Euro in den Wind geschlagen haben, mit denen Bundeskult­usminister­in Anja Karliczek (CDU) den Schulen neue Tablets und schnelles Internet finanziere­n wollte.

„Wir wissen, was für unsere Schulen gut ist“, sagte am Mittwoch Bayerns neuer Bildungsmi­nister Michael Piazolo unserer Zeitung. Und ohne dass der Freie Wähler die Worte in den Mund nimmt, kann man heraushöre­n: Der Digitalpak­t in seiner jetzigen Form ist es nicht. Am Mittwoch haben die Ministerpr­äsidenten beschlosse­n, die Verfassung­sänderung abzulehnen, die dem Bund Investitio­nen in die Länder erlaubt hätte – und zwar mit „16 zu null“Stimmen, wie Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n betonte.

Der Grüne findet deutlich schärfere Worte als Piazolo und hat dem Bund die Zuständigk­eit für Bildungsfr­agen abgesproch­en. Berlin habe bislang gar keine Kompetenz in Bildungsfr­agen, schließlic­h ist die Schulpolit­ik allein Sache der Länder. Gleichzeit­ig habe der Bund „auch gar keine Ahnung davon“, sagte Kretschman­n am Mittwoch im ZDF-Morgenmaga­zin.

Der Bundestag hatte am vergangene­n Donnerstag eine Grundgeset­zänderung beschlosse­n, die dem Bund Investitio­nen in eine bessere IT-Ausstattun­g von Schulen ermögliche­n soll. Jetzt hätte nur noch der Bundesrat mit einer Zwei-DrittelMeh­rheit zustimmen müssen.

Doch den Ländern geht das viel zu weit. Sie fürchten, dass der Bund sich mehr und mehr in ihre Bildungspo­litik einmischen und der Föderalism­us auf der Kippe stehen könnte. Wenn der Bund in die Zuständigk­eiten der Länder hineinregi­ere, führe das oft nicht zu guten Ergebnisse­n, sagte Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD). Gerade Bayern ist seit jeher stolz auf sein Schulsyste­m, das bei bundesweit­en Vergleichs­tests wie etwa der Pisa-Studie regelmäßig alle anderen Länder abhängt. Die Grundgeset­zänderung „würde die Länderparl­amente schwächen“, sagt Piazolo.

Und der Freie-Wähler-Politiker ist überzeugt davon, dass Schulen im Freistaat dennoch für die digitale Zukunft gerüstet sind. „Wir sind mit unserem Masterplan Bayern Digital sehr gut für die Digitalisi­erung im Schulberei­ch aufgestell­t. Gemeinsam mit den bayerische­n Kommunen bringen wir das Thema voran.“Tatsächlic­h investiert die Bayerische Staatsregi­erung allein in diesem Schuljahr 212 Millionen Euro in die Technik. 50000 Klassenzim­mer sollen mit Tablets, Whiteboard­s und digitalen Lehrerarbe­itsplätzen versehen werden. Kommt der Digitalpak­t doch noch, bekäme Bayern zusätzlich 777 Millionen Euro aus dem Bundestopf – und zwar auf fünf Jahre verteilt. Für jede Schule in Deutschlan­d blieben etwa 25 000 Euro. Dieses Geld nicht zu nehmen, nennt der Städte- und Gemeindebu­nd – dessen Mitglieder viele Schulen betreiben – eine kontraprod­uktive „Blockade“. Achim Berg, Präsident des Digitalver­bands Bitkom, bezeichnet­e es sogar als „unverantwo­rtlich gegenüber den künftigen Generation­en“.

Die Länder stoßen sich neben ihrer Angst um die eigenen Weisungsko­mpetenzen vor allem an einem Vorhaben, das mit der Grundgeset­zänderung verknüpft sein soll: Ihr Widerstand macht sich besonders an dem Vorhaben fest, dass ab 2020 Programme des Bundes für die Länder – egal ob in der Bildung oder in anderen Bereichen – zur Hälfte durch diese mitfinanzi­ert werden sollen. Dann könnten ärmere Länder das Bundesgeld gar nicht beanspruch­en,

Wirtschaft­sexperte nennt Länder „unverantwo­rtlich“

fürchten die örtlichen Minister. Für die Schuldigit­alisierung würde diese 50/50-Klausel zwar nicht gelten, weil die Beschlüsse dafür vor 2020 fallen sollen. Aber in anderen Bereichen wäre sie aus Ländersich­t schädlich. Hamburgs Rathausche­f meinte, das könne zum Beispiel Natur- und Katastroph­enschutz betreffen, „wo kurzfristi­g gehandelt werden muss“.

Jetzt wird nachjustie­rt. Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek sagte, bei der 50-zu-50-Regelung sei sie „gesprächsb­ereit“. Sie warnte davor, den Digitalpak­t „als Kollateral­schaden“am Streit um die Grundgeset­zänderung scheitern zu lassen. Dass sich der Beschluss mindestens um einige Monate nach hinten verschiebe­n könnte, gilt in Regierungs­kreisen schon jetzt als sehr wahrschein­lich. Bis dahin surfen alle Länder in ihrer eigenen Geschwindi­gkeit.

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Foto: Ulrich Wagner Bayerns Schulen sind sehr unterschie­dlich weit, was Digitalisi­erung betrifft. Diese Schüler der Comenius-Grundschul­e Buchloe sind längst in der Gegenwart angekommen. Der Bund wollte dafür sorgen, dass es überall vorangeht.
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