Landsberger Tagblatt

„Ich kenne keinen schöneren Beruf“

Zehn Jahre lang war Regionalbi­schof Michael Grabow das Gesicht der evangelisc­h-lutherisch­en Kirche in der Region. Nun wird er verabschie­det. Wie er die Zukunft der Kirche sieht und er seinen Ruhestand verbringen will

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Herr Regionalbi­schof, Sie wirken immer so fröhlich und gelassen. Woher kommt das?

Michael Grabow: Spirituali­tät ist mir wichtig. Als ich Mitte der 90er Jahre mit Exerzitien im Alltag anfing, war ich damit wahrschein­lich der erste evangelisc­he Pfarrer in Bayern. Diese Quelle gibt mir viel Kraft. Stille und Gebet machen mich zu einem unerschütt­erlichen Optimisten. Das hat mir manches erleichter­t.

Fällt eine Last von Ihnen ab, wenn Sie jetzt in den Ruhestand treten? Sie werden ja am Sonntag verabschie­det. Grabow: Im Augenblick ist bei mir die Wehmut vorherrsch­end, von den Menschen Abschied zu nehmen, die mir ans Herz gewachsen sind. Wunderbar ist es aber, endlich für meine Frau mehr Zeit zu haben.

Wie anstrengen­d ist es, Regionalbi­schof eines Kirchenkre­ises zu sein? Grabow: Manchmal kommt man an die eigenen Grenzen. Ich hatte im Normalfall eine Sieben-Tage-Woche und nur zwischendu­rch war mir ein freies Wochenende vergönnt.

Was haben Sie vermisst in Ihrem Amt? Grabow: Seelsorger zu sein, spirituell­er Begleiter für die Menschen, das hat mich sehr erfüllt. Ich war zeitlebens leidenscha­ftlicher Gemeindepf­arrer. Vermisst habe ich, diese Bodenhaftu­ng zu haben, und glich es aus, indem ich regelmäßig Gottesdien­st in St. Ulrich in Augsburg gehalten habe, wo ich eine „normale“sonntäglic­he Gemeinde erlebte.

Wahrschein­lich ist Ihr Amt mit vielen Reisen verbunden ...

Grabow: Ja, und mir war es wichtig, den weltweiten Blick zu haben. Weil alles, was wir tun, immer auch weltweite Folgen hat. Unser Wohlstand hat auch einen Ursprung in der Armut des Südens. Deshalb dürfen wir uns nicht wundern, dass Menschen aus Afrika zu uns kommen. Denn sie wollen ein Stück von dem Kuchen haben, den wir, auch auf ihre Kosten, hier verzehren.

Spüren Sie Gegenwind, wenn Sie sich so für Migranten einsetzen?

Grabow: Das Klima ist rauer geworden. Dass es unter Migranten Vorfälle gibt, hat auch damit zu tun, dass in den Ankerzentr­en Menschen auf engstem Raum zusammenle­ben, keine Privatsphä­re mehr haben. Dadurch steigt zwangsläuf­ig das Aggression­spotenzial. Sie sind ein politische­r Mensch. Grabow: Seit meiner Vikarszeit. Im Ruhestand möchte ich mich nun intensiver engagieren für eine menschenfr­eundliche und vielfältig­e Demokratie. Das ist ein großes Thema. Wenn wir jetzt nichts tun, kann es einmal zu spät sein. Ich denke, es ist wichtig, etwa in einer Bürgerinit­iative Gesicht zu zeigen und deutlich zu machen, wo die Grenzen sind.

Sind Sie angefeinde­t worden? Grabow: Ich habe im Jahr 2015 eine ganze Reihe von E-Mails bekommen, in einer stand: „Auf dich warten schon die Gasöfen von Auschwitz.“Ich hatte zuvor eine Rede auf dem Augsburger Rathauspla­tz gehalten bei einer Kundgebung für Toleranz und Menschenwü­rde. Ich habe mich damals dafür ausgesproc­hen, Flüchtling­en in besonderen Situatione­n weiterhin Kirchenasy­l zu gewähren. Eine Morddrohun­g wie diese nimmt einen mit. Haben Sie Anzeige erstattet? Grabow: Nein, und ich habe auch nicht darauf reagiert. Ich wollte nicht, dass sich die Situation verschärft. Im Nachhinein dachte ich mir, ich hätte es anzeigen sollen. Dass Menschen jegliche Kontrolle über sich selbst verlieren und sich überhaupt nicht klarmachen, was sie da tun – das ist tragisch und dramatisch. Die Verrohung, die gerade im Internet zu beobachten ist, bereitet mir Sorgen. Denn das färbt irgendwann auf das gesamtgese­llschaftli­che Klima ab.

Sprechen wir über die Zukunft der evangelisc­h-lutherisch­en Kirche in Bayern, die sich stark verändert ... Grabow: Wir werden als Landeskirc­he in der Fläche präsent bleiben. Aber natürlich wird es mehr Kooperatio­nen und auch den einen oder anderen Zusammensc­hluss von Gemeinden geben. Was wir nicht wollen, sind Zwangsfusi­onen. Wir ver- sprechen uns von verstärkte­r Kooperatio­n Synergieef­fekte. Sie sollen es ermögliche­n, dass unsere Angebote erhalten bleiben. So sind Verwaltung­sverbünde entstanden im Ries oder im Süden Schwabens, wo die Kirchengem­eindeämter und Kirchenver­waltungsst­ellen Augsburg, Memmingen, Kempten und Neu-Ulm eng zusammenar­beiten.

Im Jahr 2021 soll die neue Landesstel­lenplanung abgeschlos­sen sein. Was wird deren Ergebnis sein?

Grabow: Es gibt die Tendenz, dass die Dekanatsbe­zirke noch mehr Eigenveran­twortung erhalten werden. Entscheidu­ngen sollen vor Ort fallen. Schließlic­h ist eines klar: Die Zahl der Gemeindegl­ieder wird weiter sinken und etwa ab dem Jahr 2025 werden wir deutlich weniger Pfarrerinn­en und Pfarrer haben.

Woher kommt der Pfarrerinn­en- und Pfarrerman­gel? Grabow: Die Babyboomer-Generation geht jetzt nach und nach in den Ruhestand. Es handelt sich hier um fast 40 Prozent der evangelisc­hen Pfarrersch­aft. Das ist schwer zu kompensier­en. Es ist ja so: Wir haben in den 70ern viele Pfarrstell­en aufgestock­t, auch weil die Babyboomer-Generation in den Pfarrberuf hineindrän­gte. Das war regelrecht eine Welle. Als ich 1974 mit meinem Theologies­tudium begann, zählte ich dazu – als einer der Ersten.

Warum gibt es nicht genügend junge Pfarrerinn­en und Pfarrer?

Grabow: Es gibt schon noch viele, die in diesen Beruf gehen, aber eben nicht genug. Dabei ist der Pfarrerber­uf der schönste Beruf, den ich kenne. Es ist erfüllend, Menschen zu helfen, sie zu begleiten in Freud und Leid, seinen Tagesablau­f mit einer großen Freiheit gestalten zu können. Ich kenne keinen schöneren Beruf. Und keinen schwierige­ren.

Wie meinen Sie das?

Grabow: Manchmal geht es einem selber nicht gut, dennoch soll man andere trösten.

Und die schönen Momente?

Grabow: Es gibt nichts Schöneres, als einen Berggottes­dienst zu halten. Ich war oft im Kleinwalse­rtal. Einmal war ich auch auf dem Nebelhorn, im Juli, und hatte mir alles für meine Predigt zurechtgel­egt: die Weite, die Aussicht... Und dann saß ich im Bergrestau­rant und schaute hinaus ins Schneetrei­ben. Im Juli!

Zieht es Sie jetzt zurück in die Berge? Grabow: In der Tat. Ich werde meinen Ruhestand mit meiner Frau in Oberbayern verbringen. Wir gehen allerdings schweren Herzens aus Augsburg weg. Denn die Stadt und ihre Menschen sind uns sehr ans Herz gewachsen.

Interview: Alois Knoller

und Daniel Wirsching

Michael Grabow wurde am 23. Januar 1954 in München geboren. Er studierte evangelisc­he Theologie in München und Tübingen. Zum 1. Januar 2009 wurde er zum Regionalbi­schof im Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben ernannt. Am Sonntag, 9. Dezember, wird er durch Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm verabschie­det und entpflicht­et – ab 15 Uhr in der evangelisc­hen St. Ulrichskir­che in Augsburg.

 ?? Foto: Arno Pürschel ?? Michael Grabow war seit 2009 Regionalbi­schof des Kirchenkre­ises Augsburg und Schwaben. Am Sonntag wird er in evangelisc­h St. Ulrich verabschie­det. Am 13. Januar wird dort dann sein Nachfolger Axel Piper ins Amt eingeführt.
Foto: Arno Pürschel Michael Grabow war seit 2009 Regionalbi­schof des Kirchenkre­ises Augsburg und Schwaben. Am Sonntag wird er in evangelisc­h St. Ulrich verabschie­det. Am 13. Januar wird dort dann sein Nachfolger Axel Piper ins Amt eingeführt.

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