Die Musik lebt von Kontrasten und pulsiert
Konzert Trotzdem ist bei Tord Gustavsen alles voller Harmonie. Seine Werke sind sehr intim
Landsberg Der Fundus skandinavischer Musiker, die sich im speziellen Fahrwasser des Jazz bewegen, scheint schier unerschöpflich. Mittlerweile ist die dritte Generation am Start, was deutlich macht, dass es sich schon lange nicht mehr um ein Zeitgeistphänomen handelt. Es gibt Menschen, die sprechen gar von „Nordischer Musik“, als handele es sich um eine eigene musikalische Gattung. Tord Gustavsen, Pianist mit Wohnsitz Oslo, gehört schon eine Weile ins Epizentrum skandinavischer Instrumentalisten. Mit seinem neuen Album „The Other Side“(ECM) ist er derzeit auf Tour und war am Sonntag zu Gast im Landsberger Stadttheater.
Gemeinsam mit seinen beiden Triopartnern Sigurd Hole am Bass und Jarle Vespestad bewegte sich Gustavsen in einem musikalischen Bereich melodischer Abstraktion und klanglicher Reduktion. So komplex die gesamte Musik auch klang, sie wirkte letztendlich doch immer romantisch, verströmte etwas Grüblerisches und Intimes. Das mag an den ständig wechselnden und stets neu aufbereiteten Melodien liegen, die sich wie ein roter Faden durch das Konzert zogen und eine Stimmung verwehender Nostalgie schufen.
Für Tord Gustavsen, der stark von Bill Evans und Keith Jarrett beeinflusst ist, war es nicht einfach, jetzt erneut ein Trio zusammenzustellen. Nachdem vor einigen Jahren sein Bassist Harald Johnsen und unerwartet gestorben war, scheute sich der Pianist vor dieser Besetzung. Es brauchte Zeit, in der er in anderen Konstellationen auftrat und Alben einspielte. Nun aber war er so weit. „Ich glaube mit ’The Other Side’ und unserem neuen Bassisten Sigurd Hole eine Besetzung und einen Weg gefunden zu haben, der das Andenken an das alte Trio bewahrt und der Musik gleichzeitig erlaubt, sich in eine neue Richtung zu bewegen.“
Andenken, das klingt nach Aufarbeitung, nach Trauerarbeit. Insofern sind die Choräle von Johann Sebastian Bach, die Gustavsen im Repertoire hatte, nur folgerichtig. Das Trio nutzte diese sakralen Vorgaben für eigenwillige Interpretationen, die in dieser Form eine Zeitspanne vom Barock bis in die Moderne umfassten. Hinzu kamen Einflüsse aus der nordischen Folklore, Minimalund Ambient-Notizen und vor allem eine die Zeit sprengende Herangehensweise. Die einzelnen Stücke entwickelten sich fernab eines übereilten Lebensgefühls. Wiederholungen wurden geschichtet, verdichtet, verschleiert. So offenbarte das Trio die Übergänge mit innerer Hingabe, dehnte die fast meditativen Zwischentöne dramaturgisch geschickt und ließ die Musik ganz plötzlich in einem zerklüfteten Groove regelrecht explodieren. In diesen Momenten schienen Gustavsen, Hole und Vespestad voller Adrenalin, fast im freien Fall – um im nächsten Moment wieder in poetische Sensibilität einzutauchen. Von diesen Kontrasten lebte die Musik, atmete sie und pulsierte sie. Und hinterließ den Eindruck einer perfekt aufeinander eingespielten Formation.