Mythos und Märchen
Die Vergangenheit Portugals im Tanz
Blau beleuchtete Acrylglaskuben fast randvoll mit Wasser gefüllt, stehen vor einer durchsichtigen Plexiglasrückwand, die sich nach oben hin in eine Unmenge blau getönter Quadrate auflöst. Es sind Symbole zum einen für die Vergangenheit Portugals als große Seefahrernation, zum anderen für die typischen, blau bemalten Wandfliesen, die im Land jedes Schloss und jede Kirche pflastern.
Dazu der Klang der portugiesischen Seele, wie der Fado als melancholischer, von Sehnsucht nach besseren Zeiten erzählende Musikstil oft genannt wird, gesungen von Fadista Joana Melo und begleitet von drei Gitarristen. Die acht Tänzer des Quorum Ballet jagen über die Bühne, springen in halsbrecherische Hebefiguren, kämpfen mit mangelndem Platz und stemmen eine beispiellose Vorstellung. „Correr o Fado“– frei übersetzt „den Fado durcheilen“– nennt Daniel Cardoso, Initiator, künstlerischer Leiter, Choreograf, Bühnenbildner und Tänzer des Quorum Ballet, das von ihm entwickelte Werk, mit dem seine Compagnie in Landsbergs Stadttheater Station macht.
Das Ballett erwächst streckenweise zur verblüffenden Akrobatik, die Choreografie wird großzügig angereichert mit Requisiten, pointiert gesetzte Auf- und Abgänge werden zu lässigem Hereinschlendern, Abtanzen und Chillen auf einer der Wasserkuben. Man fühlt sich an Streetdance oder Hip-Hop-Tanzvorstellungen erinnert, gepaart mit einem Bühnenspiel, das irgendwo zwischen Riverdance und Stomp rangiert. In Erinnerung bleiben denn auch die „großen Bilder“von fliegenden Röcken und Jacken im ersten Teil und der Wasserschlacht im zweiten. Der Fado, dem das Programm seinen Namen verdankt, wird nur in den schnellläufigen und atmosphärisch helleren Liedern zum Bestandteil und Taktgeber des Tanzes. Rund 20 Lieder meistern die Tänzer in den knapp anderthalb Stunden der Vorstellung; programmatisch ist dabei das erste Pas de deux zum sechsten Lied des Abends: statt einer Art gefühlsechter Verschnaufpause, die tänzerisch dargebotene Innigkeit und Hingabe zeigen könnte, wird der Klang des Fado von Cardoso in eine überaus anspruchsvolle Choreografie übersetzt, die mit ihren vielen Hebefiguren und Sprüngen mit rekordorientiertem Hochleistungssport mehr gemein zu haben scheint.
Sicher ist, dass Cardoso ein überschießendes Talent besitzt, das selbst dem Fado, der Mutter aller Melancholie und berühmten portugiesischen „Saudade“, Beine macht. Dies ist denn auch das Drama des Abends: die ungeheure Leistung und Leistungsbereitschaft der Tänzer geht in der rasanten und voll großer Effekte inszenierten Darbietung regelrecht baden, spätestens dann nämlich, wenn alle acht Tänzer mit den Fäusten wie wild in die Wasserkuben schlagen und auf der Bühne für einen Platzregen erster Güte sorgen. Das Publikum im voll besetzten Theatersaal lebt das Spektakel vollumfänglich mit und begleitet die Vorstellung mit Reaktionen, die von anfänglich verhaltenem Klatschen bis zu begeisterten Überraschungsrufen, angesichts eines Solostücks unter Wasser, getanzt oder besser geschwommen von Beatriz Graterol, und schließlich Jubel über die wilde Wasserschlacht reichen.
Tänzerisch dargebotene Innigkeit