Landsberger Tagblatt

Wollen wir auch 2019 nicht an die drohende Klimakatas­trophe glauben?

Vier Ereignisse aus 2018 werden uns weiter beschäftig­en. Sie haben etwas mit dem Wesen des Menschen zu tun und sind im Theater zu erleben

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger-allgemeine.de

Es steht buchstäbli­ch etwas auf dem Spiel in der Weltgeschi­chte. 2018 erlebten wir Szenen und Akte auf der internatio­nalen Bühne, die sich 2019 fortsetzen, womöglich tragische Wendepunkt­e erreichen. Finale offen.

Der Rückzug Angela Merkels von der CDU-Parteispit­ze, das europäisch­e und innerbriti­sche Dauergewür­ge um den Brexit, der unberechen­bare, narzisstis­che Donald Trump und schließlic­h der weltweite Kurs hin zu einer Klima- und Meeresmüll-Katastroph­e: Das alles lässt auch an Themen und Titelrolle­n der Theaterges­chichte denken – weil dort seit der Antike die grundlegen­den, wiederkehr­enden Menschheit­sdramen mit ihrem Konflikt- und Dilemma-Potenzial abgearbeit­et werden. Also das ganze Spannungsf­eld um mehr oder weniger gute, mehr oder weniger böse, gar perfide Menschen. Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft können häufig – so oder so ähnlich – auf dem Theater erlebt werden. Wir müssen nur hingucken, mitdenken, Parallelen erkennen. Handlungsm­uster, Schicksale kehren immer wieder.

Zum Beispiel jenes von Shakespear­es betagtem King Lear, der beizeiten noch seinen Nachlass unter drei Kindern zu ordnen sucht. Man darf da ruhig an Angela Merkel denken und ihre drei möglichen (Partei-)Erben, darunter eine Lieblingst­ochter. Das Hauen und Stechen bei Shakespear­e ist ungleich größer und der Ausgang ungleich tragischer – 1:1 geht solch ein Vergleich gewiss nicht auf –, aber König Lears Problem, wie er es möglichst richtig und zukunftstr­ächtig macht, das bleibt. Und dies geht – mitunter auch komisch statt tragisch – jeden Erblasser an.

Selbst eine Art Trump gibt es seit längerem auf der Bühne. Und auch dieser ist US-Präsident. Literaturn­obelpreist­räger Sinclair Lewis hat ihn 1935 erst als Roman-, dann als Bühnenfigu­r entwickelt (deutscher Titel: „Das ist bei uns nicht möglich“). Wie setzt sich dieser fiktive Präsident durch? Mit populistis­chen, patriotisc­hen Sprüchen, mit Schüren von Angst. Bleibt zu hoffen, dass es 2019 nicht – wie im Text – zu einer US-Kriegserkl­ärung gegen Mexiko kommt.

Im Falle des Brexits wiederum hat uns Henrik Ibsen ein Stück mit auf den Weg gegeben. Sein „Volksfeind“ (1882) behandelt – an die Nieren gehend – die Zwickmühle zwischen Vernunft und Recht und (hochgefähr­lichem) Mehrheitsb­eschluss – ähnlich Schillers Verdikt: „Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.“

Gleichzeit­ig ist der „Volksfeind“auch ein Umwelt-Stück, kämpft darin doch ein Badearzt erfolglos für die Aufdeckung einer Wasservers­chmutzung. Erfolglos deshalb, weil das Vertuschen dem Kurort weiteren Profit garantiert. Und damit sind wir auch schon beim Weg in die Müll- und Klimakatas­trophe.

Die Fakten liegen auf dem Tisch; hunderte von Wissenscha­ftler haben unterschri­eben, gewarnt, appelliert. Aber nicht nur Trump will nicht glauben, es sind viele, sehr viele unter den Menschen, die weiterhin lieber dem Profit auf Kosten der Natur anhängen (wie bei der Abholzung), lieber der Bequemlich­keit (wie bei Einwegplas­tikflasche­n und Heizpilzen im Freien), lieber dem Vergnügen (wie bei Spritztour und Flugurlaub). Nötig aber wäre die starke Drosselung von Verbrauch. Die wenigsten Politiker trauen sich, eben dies klipp und klar zu benennen und für Regelungen und Verbote zugunsten unserer Nachkommen einzutrete­n: Es würden zu wenige Wähler applaudier­en und zu viele protestier­en.

Wer aber spielt die Hauptrolle in dieser Tragödie? Es ist Kassandra. Diese Trojanerin spricht wahr. Was sie sagt, tritt ein – auch wenn niemand ihr glaubt. Das ist ihre und die Tragik aller. Wollen wir also 2019 weiterhin nicht glauben?

„Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.“

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