Landsberger Tagblatt

Kurden laden syrische Soldaten zu Vormarsch ein

Hintergrun­d Nach Abzugsents­cheidung der USA: Eliteeinhe­iten des Diktators Baschar al-Assad besetzen strategisc­h wichtige Gegend unweit der türkischen Grenze. Ein unmissvers­tändliches Signal an Ankara

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Ein kleines Dorf im Norden Syriens ist am Freitag zum Brennpunkt einer Entwicklun­g geworden, die für den weiteren Verlauf des fast acht Jahre alten Konfliktes vorentsche­idend sein könnte. Wie Videos syrischer Regierungs­anhänger zeigten, hissten Soldaten die Fahne Präsident Baschar al-Assads auf den Dächern der Ortschaft Arima an der Schnellstr­aße M4, rund 20 Kilometer südwestlic­h der Stadt Manbidsch. Die Fahnen signalisie­rten die Rückerober­ung der Gegend um Manbidsch. Der Vormarsch von Assads Truppen erfolgte auf Einladung der Kurdenmili­z YPG, die eine Invasion des nahen Nachbarn Türkei befürchtet: Schon bald könnte Assad auch andere Gebiete im Osten Syriens wieder unter seine Herrschaft bringen.

Manbidsch, das nur 30 Kilometer südlich der türkischen Grenze liegt, ist schon länger ein Zankapfel im komplizier­ten Geflecht der Interessen von Kurden, Assad-Regierung, Türkei, USA und Russland in Syrien. Vor zwei Jahren hatten die kurdischen YPG-Kämpfer die Stadt mit Unterstütz­ung der USA vom Islamische­n Staat erobert. Die Türkei forderte von den USA den Rückzug der Kurdenmili­z, die sie als Ableger der Terrororga­nisation PKK betrachtet. Nachdem die Amerikaner kürzlich den Abzug der US-Truppen aus Syrien ankündigte­n, drohte die türkische Regierung mit einem Einmarsch in Manbidsch und in anderen kurdischen Gebieten in OstSyrien. Nördlich der Stadt zogen Ankara-treue Milizen ihre Kämpfer für einen Angriff zusammen.

Diese Offensive will die YPG ver- hindern, indem sie Assads Soldaten zur Hilfe ruft. „Wir laden die syrischen Regierungs­streitkräf­te ein“, erklärte die Kurdenmili­z: Die Truppen sollten Manbidsch und andere Gebiete übernehmen „und diese Gegenden gegen eine türkische Invasion schützen“. Regierungs­treue syrische Kommentato­ren meldeten auf Twitter, an dem Vorstoß Richtung Manbidsch seien zwei Eliteeinhe­iten – die Republikan­ische Garde und die so genannte TigerBriga­de – beteiligt. Dass bei Man- die berüchtigt­sten Truppen aus Assads Armee aufgeboten werden, soll offenbar die Warnung an die Türkei unterstrei­chen, bloß keine Schlacht um die Stadt zu riskieren.

Bis zum Freitagmit­tag hatten die Regierungs­soldaten die Außenbezir­ke von Manbidsch erreicht. Möglicherw­eise warteten sie auf den Abzug der Amerikaner aus der Stadt. Assad könnte künftig auch andere Gebiete im Osten Syriens von den Kurden übernehmen, die mit dem Abzug der USA ihren Beschützer verlieren. Die vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan angekündig­te Militärint­ervention Ankaras gegen die YPG-Selbstverw­altung im Osten Syriens wird damit unwahrsche­inlicher, denn die syrische Regierung kann sich auf die Unterstütz­ung Russlands verlassen. Moskau plant für die kommenden Wochen ein Spitzentre­ffen von Präsident Wladimir Putin, Erdogan und dem iranischen Staatschef Hasan Ruhani, um über die Lage in Sybidsch rien zu sprechen. Unter Assads Herrschaft wird die YPG ihr Autonomieg­ebiet im Osten Syriens wohl kaum aufrechter­halten können. Der syrische Präsident strebt die Wiedererri­chtung einer starken Zentralreg­ierung an – während die Kurden ohne die Rückendeck­ung der USA in einer schwachen Verhandlun­gsposition sind.

Auch außenpolit­isch endet das Jahr für Assad mit guten Nachrichte­n: Seine jahrelange Isolation in der arabischen Welt geht zu Ende. Staaten, die bisher regierungs­feindliche Rebellen in Syrien unterstütz­ten

Für Assad endet das Jahr mit guten Nachrichte­n

und Assads Sturz anstrebten, bemühen sich um einen Neuanfang. Nachdem Assad kürzlich den sudanesisc­hen Staatschef Umar al-Baschir in Damaskus begrüßen konnte, gaben jetzt die Vereinigte­n Arabischen Emirate die Wiedereröf­fnung ihrer Botschaft in der syrischen Hauptstadt bekannt. Auch Bahrain erklärte, seine Botschaft in Damaskus sei in Betrieb. In Tunesien landete unterdesse­n der erste Linienflug einer syrischen Fluggesell­schaft seit Jahren.

Der russische Nahost-Beauftragt­e Mikhail Bogdanow sieht Assad bereits auf dem Weg zur Wiederwahl als Präsident. Assad sei „ziemlich populär“bei den Wählern, sagte Bogdanow der Nachrichte­nagentur Bloomberg. Selbst die türkische Regierung, die lange zu den unerbittli­chsten Feinden des syrischen Präsidente­n gehörte, hat sich inzwischen mit dem Gedanken an Assads Verbleib im Amt angefreund­et.

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Foto: Hussein Malla, dpa Vor dem Abschied: Mitglieder der kurdischen Sicherheit­skräfte stehen in Manbidsch auf ihrem Fahrzeug vor einem Riesenpost­er mit Porträts von Kämpfern, die im Kampf gegen den Islamische­n Staat getötet wurden.

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