Landsberger Tagblatt

„Der Schmerz wird erträglich“

Interview Teresa Enke hat Kind und Mann verloren. Heute kämpft die Witwe von Nationalto­rwart Robert Enke mit ihrer Stiftung für Aufklärung über Depression – und erzählt von ihrem neuen Leben

- Interview: Andreas Jungbauer und Michael Reinhard

Frau Enke, Sie haben Weihnachte­n bei Ihrer Familie im mittelfrän­kischen Bad Windsheim verbracht. Ist diese „Heimat“durch die Ereignisse der letzten Jahre wichtiger geworden? Enke: Ja, aber mehr die Familie als die Örtlichkei­t. Das Elternhaus, wo wir alle aufgewachs­en sind, ist das Verbindend­e, das Langlebige, die Konstanz.

Im November 2009 hat sich Ihr Mann Robert Enke das Leben genommen. 2006 war Ihre Tochter Lara an einem Herzfehler gestorben. Holt Sie an Weihnachte­n die Vergangenh­eit besonders ein?

Enke: Ja, man merkt es an den Bildern. Erst war Lara weg, dann Robert, die Omas, mein Bruder . . . Und die Todesfälle immer in der dunklen Jahreszeit. Weihnachte­n ist bei uns nicht so unbelastet wie bei anderen. Die Verluste spürt man da stärker.

Wie gehen Sie damit um?

Enke: Weitermach­en, sich über diejenigen, die da sind, freuen und die anderen nicht vergessen. Wir lachen auch viel und sind nicht nur wehmütig.

Hat sich die Dankbarkei­t aus Ihrem Leid entwickelt oder sind Sie von Haus aus ein pragmatisc­her Mensch?

Enke: Das lernt man. Viele haben mich gefragt, wie ich das alles aushalte. Aber ich finde, ich bin nicht besonders stark. Wenn einem Leid widerfährt, muss man es angehen – gerade, wenn man Verantwort­ung für Kinder oder Familie hat. Ich weiß: Es gibt viele, denen es schlechter geht. Auch als Robbi gestorben ist – ich war in einer privilegie­rten Position. Ich hatte keine finanziell­en Nöte und habe viel Aufmerksam­keit bekommen. Andere kommen wirtschaft­lich in Bedrängnis oder werden sogar geächtet.

Wie viel Schmerz ist noch da?

Enke: Es gibt ihn in bestimmten Situatione­n. Aber mittlerwei­le blicke ich mehr mit Dankbarkei­t zurück. Ganz verheilen wird es nicht, aber der Schmerz wird erträglich.

Fragen Sie sich noch, ob Sie den Suizid hätten verhindern können?

Enke: Ja, das bleibt und kommt in manchen Momenten hoch. Ich weiß aber heute viel mehr über diese Krankheit. Wenn sich Betroffene entscheide­n zu gehen, sind Angehörige meist machtlos. Manchmal frage ich mich, ob ich ihn hätte zwangseinw­eisen müssen. Aber ich weiß nicht, was es ausgelöst hätte. Ich hatte seinen Willen zu akzeptiere­n. Was ich machen konnte, habe ich getan.

Wie hat er seinen Zustand beschriebe­n? Was hat er nicht mehr ausgehalte­n? Enke: Dieses „Schwarze“. Er sagte: Wenn du eine Minute in meinem Kopf wärst, würdest du es verstehen. Die Krankheit ist so übermächti­g, dass der Tod dann eine Erlösung ist.

So haben Sie mit Ihrem Mann die Erkrankung über Jahre geheim gehalten. Enke: Robbi wollte es so – es hat ihn viel Kraft gekostet. Das ist ja das Schwierige an der Erkrankung. Er hatte Angst, dass es an die Öffentlich­keit kommt und er seinen Platz in der Nationalma­nnschaft verliert. Er glaubte nicht an Akzeptanz. Daran arbeite ich jetzt mit der Stiftung, an der Enttabuisi­erung. Ich möchte, dass niemand mehr Scheu hat, sich zu öffnen und Hilfe zu erhalten.

Sie schaffen nun also mit Ihrer Stiftung Hilfsangeb­ote und Strukturen, die Sie selbst nicht hatten?

Enke: Genau, auch für die Angehörige­n. Deshalb gehe ich an die Öffentlich­keit. Das Thema muss auf der Tagesordnu­ng bleiben. Und wir haben Hilfsangeb­ote geschaffen etwa über eine Hotline, an der fünf Tage in der Woche ein Psychiater sitzt. Dahinter steht ein bundesweit­es Netzwerk. Wir verspreche­n die Vermittlun­g eines Erstgesprä­ches innerhalb von einer Woche.

Sie waren im Oktober das erste Mal seit der Gedenkfeie­r 2009 wieder richtig im Stadion in Hannover. Mit welchen Gefühlen?

Enke: Ja, es war das Abschiedss­piel von Per Mertesacke­r. Es war schön, aber auch ergreifend, die alten Weggefährt­en zu treffen. Es war ein Wechselbad, aber es ging.

War das Stadion für Ihren Mann ein „Gefängnis“, wie nach dem Tod jemand meinte?

Enke: Nein, definitiv nicht. Für Robbi war es ein Wohnzimmer. Wenn er gesund war, hat er die Atmosphäre geliebt. Da habe ich mir nie Sorgen gemacht. Natürlich gab es schlimme Situatione­n in Barcelona oder Istanbul, als es sportlich nicht gut lief. Aber die Menschenme­nge hat ihm nichts ausgemacht.

Sie leben seit einigen Jahren in einer neuen Beziehung. Ein Familien-Neustart?

Enke: Mir geht es gut und ich bin wieder glücklich. Alles andere will ich aber aus der Öffentlich­keit halten.

Sie haben Kind, Mann und Bruder verloren: Haben Sie sich dadurch verändert?

Enke: Ja.

In welcher Weise?

Enke: Viele Dinge relativier­en sich, werden in den Trauerphas­en unbedeuten­d – Klamotten zum Beispiel. Das normalisie­rt sich wieder. Aber ich bin nachdenkli­cher geworden und bin nicht mehr so belastbar. Und: Ich habe Angst, dass noch etwas passiert, habe Verlustäng­ste. Ich bin nicht nur die Starke.

Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?

Enke: Zu einem großen Stück aus der Stiftung. Die Tragödie hat damit zumindest einen Sinn für andere. ⓘ

Teresa Enke, 42, gründete 2010 mit Unterstütz­ung des DFB und Hannover 96 die Robert-Enke-Stiftung zur Behandlung von Depression­en und KinderHerz­krankheite­n. Sie lebt in Hannover.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Teresa Enke, hier 2014 bei der Ausstellun­g „ROBERT gedENKEn – unser Freund und Torwart“, schaut wieder nach vorn.

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