Landsberger Tagblatt

Mitleid mit den lieben Nachbarn im Süden

- VON THOMAS WEISS weiss@azv.de

Wie viele Jahre lang blutete eigentlich unser Herz? Wir sahen Rot, überall Rot. Die Farbe des Blutes. Die Farbe des Schmerzes. Das rot-weiß-rote Farbenmeer auf der Tribüne in Oberstdorf – das wirkte irgendwie fremd. Im Laufe der Jahre aber leider auch irgendwie vertraut. Am Ende sangen sie dann zu Tausenden auch noch lauthals ihr „Lied der Berge“. Sie ergötzten sich daran, uns beim Singen ihrer Hymne so ziemlich alles reinzureib­en, was der geschunden­en deutschen Skisprung-Seele noch mehr Aua bereitete. „Land der Hämmer, zukunftsre­ich. Heimat großer Töchter und Söhne – Volk, begnadet für das Schöne – viel gerühmtes Österreich.“Jaaa, ist ja gut!

Der Oberstdorf­er Stadion-DJ musste in den letzten zwölf Jahren acht Mal die Austria-Hymne auflegen und durfte nur einmal – zu Ehren von Severin Freund vor drei Jahren – die deutsche Nationalhy­mne abspielen. Dieses einmalige „Blüh’ im Glanze dieses Glückes“war für die Skisprung-Fans im Allgäu aber mehr als ein Trostpflas­ter. Es läutete so etwas wie eine Zeitenwend­e ein. Plötzlich ließ ein pfiffiger Sponsor vor den Stadiontor­en Fähnchen verteilen. In Schwarz-Rot-Gold. Oberstdorf war wieder fest in Händen der deutschen Fans – zumindest auf den Rängen. Unten jubelte mit Stefan Kraft wieder ein Ösi. Aber der war wenigstens nett – und lobte die Zuschauer in Oberstdorf auch jedes Mal übers Stadionmik­rofon – und über den Schellenkö­nig. The winner takes it all.

Aber der sportliche Rachefeldz­ug der Deutschen ging weiter – und gipfelte darin, dass Alpin-Ass Thomas Dreßen letzten Winter die Streif gewann und die DSV-Springer bei Olympia in Korea im Deutschen Haus eine Hully-Gully-Party nach der anderen feierten, während im Haus der Österreich­er früh die Lichter ausgingen. Da war die 1:2-Schmach der deutschen Fußballer im Testspiel vor der FußballWM in Klagenfurt leicht zu verschmerz­en.

Vor der diesjährig­en Vierschanz­entournee ist man ja fast geneigt, Mitleid mit den lieben Nachbarn im Süden zu haben. Bei der Generalpro­be in Engelberg belegten sie hinter Kraft, ihrem Stabilsten, die Plätze 37, 41, 48 und 51. Warum sie jetzt nicht mal mehr Skispringe­n können, ist ihnen derzeit selbst ein Rätsel. Altmeister Gregor Schlierenz­auer verzichtet sogar ganz auf die Tournee und will sich in Ruhe auf die Heim-WM in Seefeld vorbereite­n. Ihr neuer Trainer Andreas Felder, der zu seiner aktiven Zeit drei Tournee-Einzelsieg­e für sich verbuchte, macht einen auf Geduld und spricht nach langer Fehleranal­yse meist doch davon, dass seine Springer auf dem richtigen Weg seien. Wir sehen das ähnlich …

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Foto: Lienert Ein Bild vergangene­r Tage: 2016 gewann mit Stefan Kraft ein Österreich­er das Auftaktspr­ingen in Oberstdorf.
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