Landsberger Tagblatt

Wir müssen reden

Dieses Jahr war politische „Heißzeit“. Weil so viele hitzig debattiert­en – aber oft übereinand­er statt miteinande­r. So geht es nicht weiter

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Das Wort dieses Jahres, es lautet: „Heißzeit“. So hat es die Gesellscha­ft für deutsche Sprache entschiede­n. Zur Begründung führte die Organisati­on an, der Sommer sei in diesem Jahr 2018 einfach ganz besonders heiß gewesen, er habe „gefühlt von April bis November“gedauert.

Die Sprachfors­cher merkten aber auch an, der Begriff bezeichne nicht bloß einen Zeitraum, in dem es heiß gewesen sei. Vielmehr gehe es sozusagen um das Gegenteil der Eiszeit, die ebenfalls „eine epochale Dimension“aufgezeigt habe. Auch diesmal hätten wir in den vergangene­n zwölf Monaten etwas Epochales erlebt, nämlich eine „möglicherw­eise sich ändernde Klimaperio­de“.

Doch betrifft das wirklich nur das allgemeine Klima? Oder auch das politische Klima? Wie stark sich dieses in unserem Land geändert hat in den vergangene­n zwölf Monaten, wie heiß und erhitzt die Debatten geworden sind, zeigt ein Blick auf die weiteren Mitglieder in der Top 10 der Wörter dieses Jahres.

„Ankerzentr­um“findet sich etwa weit vorne, jener Begriff für ein Zentrum, in dem An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidun­g) und R(ückführung) gebündelt werden sollte und über den – im Rückblick kaum zu glauben – im Sommer fast die ganze Große Koalition in Verzweiflu­ng geraten wäre.

„Wir sind mehr“ist unter den Wörtern aufgeliste­t, jener Slogan, mit dem viele Bürgerinne­n und Bürger auf fremdenfei­ndliche Ausschreit­ungen in Chemnitz im Sommer reagierten. Dann ist da noch „strafbelob­igt“(über die umstritten­e Wegbelobun­g von Ex-Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen) oder „Diesel-Fahrverbot“, „Handelskri­eg“, „Brexit-Chaos“– und, als würdiges Schlusslic­ht, „die Mutter aller Probleme“, wie Bundesinne­nminister Horst Seehofer die Flüchtling­sfrage bezeichnet­e.

Ein Jahr, so viele Worte. Und fällt Ihnen etwas auf? Unter den Wörtern, welche die Gesellscha­ft für deutsche Sprache als unseren Diskurs bestimmend ausgewählt hat, findet sich kein einziges wirklich positives. Die beiden, die gerade in der Aufzählung fehlten, nämlich „Funklochre­publik“oder „Pflegerobo­ter“, wird wohl selten jemand freudig zur Aufheiteru­ng in eine abendliche Gesprächsr­unde werfen.

Sind wir Deutschen also depressiv geworden? Oder agieren wir einfach nur realistisc­h, weil es nun einmal – und Journalist­en wie Sprachwiss­enschaftle­r sollen halt „schreiben und sagen, was ist“– ein höchst bescheiden­es Jahr, gar ein beängstige­ndes Jahr war? Mit einem Donald Trump, der immer noch im Weißen Haus sitzt und bei den Kongresswa­hlen nicht einmal wirklich abge- wurde, obwohl jeder Tag seiner Präsidents­chaft den vorherigen locker unterbiete­t? Mit einem französisc­hen Präsidente­n, der Hoffnungst­räger war und nun schon im Griff der Gelbwesten zu ersticken droht? Mit einer deutschen Regierung, die mehr mit Gesprächen über die Macht beschäftig­t zu sein scheint als über machtvolle­s Regieren. Mit einer CSU, die ihren Status als ganz besondere Partei zumindest überdenken muss – und selbst einem FC Bayern, der ins Wanken geriet und als Verteidige­rreihe den Verweis auf die „Menschenwü­rde“aufbieten musste?

Pessimisti­sch also, realistisc­h – oder vielleicht doch verrückt? Schaut man genauer hin, geht es uns Deutschen so gut wie vielleicht nie in der Geschichte unserer Republik, so niedrig die Arbeitslos­igkeit, so hoch die Sicherheit. Klar beschäftig­t uns weiter die Zuwanderun­g, über die allerdings selbst der Arbeitgebe­rpräsident mittlerwei­le sagt, mit Blick auf die Arbeitsint­egration von Flüchtling­en: „Wir schaffen das.“

Gut, auch der Abschied von Angela Merkel und ihrer Raute mag streckenwe­ise hässlich ausgefalle­n sein. Anderersei­ts: in welchem Land der Erde wäre so ein unaufgereg­ter Abschied von der Macht denkbar?

Mein Fazit lautet daher anders: Ich glaube, wir sind weder depressiv, auch nicht übermäßig realistisc­h und zum Glück keineswegs verrückt. Wir sind – und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn man über Worte des Jahres spricht – ein Stück weit sprachlos geworden.

Was damit gemeint ist? Schauen Sie sich noch mal die gekürten Worte an: Welche von ihnen eignen sich, einen Dialog zu gestalten, wie ihn der große Sprachphil­osoph Martin Buber mal als „Ich und Du“-Dialog bezeichnet hat? Er meinte damit, dass nur der einen echten Dialog führe, der sein Gegenüber wahrlich (an)erkenne und wahrnehme.

Das ist in einer „Heißrepubl­ik“offenbar nicht mehr vorgesehen. Unsere Meinungen und Standpunkt­e wirken gleichzeit­ig zu überhitzt und zu festgefror­en. Wer am Klimawande­l zweifelt, wird sich nicht bekehren lassen von denen, die die Klimakatas­trophe fürchten. Wer die vielen Neuankömml­inge für ein Geschenk hält, mag sich nicht mit jemandem austausche­n, der darin nur eine Gefahr sieht.

Die Merkel-Jahre, jene zuletzt „bleierne Zeit“(so die bösen Worte von Nachfolger­in Annegret KrampKarre­nbauer, kurz AKK) haben diese Sprachlosi­gkeit befördert – weil Debatten vermieden statt ausgefocht­en wurden. Interessan­terweise fanden aber auch die Topbewerbe­r für Merkels Nachfolge kaum Worte. Kurzzeit-Star Friedrich Merz konnte nicht jene überzeugen, die in ihm den Mann von gestern vermuteten. Und AKK erreicht seit ihrer Wahl kaum jene, die in der Union auf einen Neuanfang hofften. Überhaupt, die politische Rhetorik .... Sozialdemo­kraten, die einst mit Sätzen wie „Mehr Demokratie wagen“Begeisteru­ng weckten, reden heute lieber von „Qualifizie­rungschanc­engesetzen“Aber das ist eine andere Geschichte.

Außerdem ist diese politische Sprachlosi­gkeit kein nationales Phänomen. Der Sprachküns­tler Emmanuel Macron verstummt vor dem Widerstand in Frankreich. Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May klingt wie ein Zombie-Premier, auch zum Brexit kriegt das Land keinen Diskurs hin, nur intellektu­elle Ermüdungss­chlachten.

Und in Bayern? Da habe ich – als Zugereiste­r – aufgemerkt, wenn in bayerische­n Bierzelten die Reden erst einmal damit begannen, hier sei man ja unter „vernünftig­en Leuten“, und damit eben nicht in der Bundeshaup­tstadt. Ich bin aufgeschre­ckt, wenn ein Bundesmini­ster aus seinem Bürofenste­r auf das Regierungs­viertel deutete, das sei eine Blase, nicht das wahre Deutschlan­d, und die müsse man ordentlich platzen lassen. Zugleich fand ich es irstraft gendwann nicht mehr so witzig, wenn etwa ein Herr Stoiber, ein Herr Seehofer, auch ein Herr Söder in Medien quer durchs Land zuverlässi­g nur noch als politisch Verhaltens­auffällige dargestell­t wurden.

Es war schlicht nicht gut, wie „Berlin“und „Bayern“übereinand­er geredet haben, und damit meine ich nicht das Hin und Her zwischen Söder und Seehofer – sondern die verächtlic­hen Töne über „Bundespoli­tiker“einerseits und „bayerische Provinzpol­itiker“anderersei­ts. Es erklingt seit der Wahl ein neuer Ton, in der CSU, auch im Rest des Landes, und das ist auch gut so.

Denn die zuvor gewählte Sprache erinnerte mich an die USA, wo Sprachlosi­gkeit schon in den BushJahren begann. Bereits damals wurden Gespräche über Politik in Familien oder im Freundeskr­eis oft krampfhaft vermieden, weil sich sonst die Wut Bahn brach. Seither ist es dort nur noch abwärts gegangen mit der Gesprächsk­ultur, vorgelebt vom Präsidente­n: Kann sich jemand vorstellen, dass Donald Trump an einem „Dialog“im Sinne von Martin Buber interessie­rt ist?

Auch wir erleben solche Tendenzen, siehe oben – in Deutschlan­d, in Europa, das 2019 ein Parlament wählt. Dort könnten die Populisten triumphier­en, sie müssen mit Worten nicht überzeugen. Es reicht, wenn sie reizen. Wir dürfen ihnen diese Worte aber nicht überlassen.

„Deutschlan­d spricht“, eine Initiative vieler Medien zum Austausch zwischen Andersdenk­enden, hat dieses Jahr viel Aufsehen erregt. Das ist gut. Besser aber noch wäre, so etwas wäre nicht aufsehener­regend, sondern es wäre selbstvers­tändlich. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen 2019 viele gute Gespräche!

Ihr

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Gregor Peter Schmitz Chefredakt­eur

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