Landsberger Tagblatt

Der Sündenbock

- (time)

Das Tolle an so einem Jahresrück­blick ist ja, dass sich nun alles wunderbar einordnen lässt. Dass ein jeder weiß, wie und warum es so gekommen ist und nicht anders. Fußballfan­s sagen unisono, Mesut Özil mit zur WM genommen zu haben, war ein Fehler. Was sie ebenso unisono sagen: Dass sie es schon vor der Weltmeiste­rschaft gesagt haben. Es ist immer Vorsicht geboten, wenn alle dasselbe behaupten. So eindeutig war freilich die Ausgangsla­ge nicht, als Joachim Löw seinen Kader für die WM bekannt gab. Klar, Özil hatte sich zusammen mit Ilkay Gündogan lächelnd zu Recep Tayyip Erdogan auf ein Foto gesellt. Wahlwerbun­g für den türkischen Staatspräs­identen: Schlechte Idee. Da waren sich tatsächlic­h alle einig (außer Özil und Gündogan). Aber deswegen auf den Zauberfüßi­gen verzichten?

Die Affäre zog sich durch ein Turnier, das für die Deutschen historisch früh endete. Gründe: Bayern-Spieler außer Form, schlechtes Coaching von Löw, Pech – aber eben auch Nebengeräu­sche und ein durchhänge­nder Özil. Genial an guten Tagen. Aber in Russland gab es keine guten Tage. Hernach verabschie­dete sich Özil mit einem Social-Media-Pamphlet aus der Nationalma­nnschaft, unterstell­te dem Deutschen FußballBun­d rassistisc­he Tendenzen und machte es so auch all jenen schwer, Verständni­s für ihn aufzubring­en, die den fantastisc­hen Fußballer und ruhigen Menschen Özil schätzen.

Anrufe des Bundestrai­ners hat er bislang ignoriert. Özil ließ schon immer lieber sein Spiel sprechen. Weil nun aber sein Vereinstra­iner in London nicht mehr allzu viel Wert auf gepinselte Pässe legt, ist Özil verstummt. Der wohl begnadetst­e deutsche Spieler der vergangene­n Jahre hat sich von der großen Bühne vorerst verabschie­det. Mit einem lauten Knall – und doch durch den Hintereing­ang.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany