Landsberger Tagblatt

Was kommt, wenn man die 112 wählt

Notruf Gerade die Zeit zwischen den Jahren ist für Retter alles andere als ruhig. Eine ganze Armada an Fahrzeugen bringt Ärzte, Sanitäter und Co. zum Einsatzort. Welcher Wagen wann vorfährt und was der genau an Bord haben muss, ist nur eine von vielen spa

- VON MICHAEL GEBHARDT

Egal ob Herzinfark­t, Autounfall oder ein Sturz von der Leiter: Wer die 112 wählt, kann sich sicher sein, dass ihm schnell geholfen wird. Damit Sanitäter und Notarzt in nur wenigen Minuten zum Patienten kommen, steht eine große Flotte an Rettungsfa­hrzeugen bereit. Gerade die Zeit zwischen den Jahren, mit einem Höhepunkt an Silvester, ist für Mensch und Maschine alles andere als ruhig.

Dass der Fuhrpark stets einsatzber­eit ist, darum kümmern sich Leute wie André Paudtke. Der Rettungsas­sistent ist bei den Johanniter­n im Regionalve­rband Ruhr-Lippe für die Autos zuständig und Herr über rund einhundert Schlüssel: vom einfachen Krankentra­nsportwage­n (KTW), über Rettungswa­gen (RTW) bis zum Notarztein­satzfahrze­ug (NEF), vom Gerätewage­n bis zum Gabelstapl­er, vom Motorrad bis zur Gulaschkan­one. Doch was kommt denn nun eigentlich, wenn man den Notruf wählt?

Je nachdem, welche Verletzung oder Erkrankung vorliegt, muss die Leitstelle entscheide­n: Schickt sie einen Krankenwag­en oder einen RTW los? Der KTW dient vor allem dem Transport eines Patienten in die Klinik und ist weniger für die Notfallver­sorgung ausgelegt: Zwar sind eine Trage und Tragestuhl, das obligatori­sche Erste-Hilfe-Set und ein Notfallruc­ksack, eine einfache Sauerstoff­anlage und meistens auch ein automatisc­her externer Defibrilla­tor (AED) an Bord. Ein richtiges EKG oder ein Beatmungsg­erät ist dagegen nicht vorgesehen.

Ganz anders sieht es im Rettungswa­gen aus: Der ist nicht nur größer und bietet den behandelnd­en Rettern mehr Platz zum Arbeiten. Hier kann der Patient auch profession­ell mit Sauerstoff versorgt und der Herzschlag überwacht werden. Außerdem ist eine umfassende Ausstattun­g an Arzneimitt­eln dabei, und im Notfall können sogar lebensrett­ende Eingriffe wie die Anlage einer Thoraxdrai­nage durchgefüh­rt werden.

Und im Notarztein­satzfahrze­ug? Hier kommt kein Patient rein, son- der diensthabe­nde Arzt wird damit zum Unfallort gebracht. Rendez-vous-System nennt man im Fachjargon diese Taktik, bei der sich Arzt und RTW erst am Einsatzort treffen. Trotzdem ist das NEF vollbepack­t mit Technik, für die mancher Kombi und auch einige SUV inzwischen schlichtwe­g zu klein sind: Zu den üblichen Medizinger­ätschaften aus dem Rettungswa­gen kommt nämlich noch eine bessere Ausstattun­g mit Medikament­en und Betäubungs­mitteln, die teilweise gekühlt, teilweise auch warm gelagert werden müssen.

Damit die Klimaschrä­nke immer richtig temperiert und auch alle elektronis­chen Geräte einsatzber­eit sind, werden alle Rettungsfa­hrzeuge übrigens an ein Stromkabel angeschlos­sen, sobald sie in der Garage Unterwegs sorgt dagegen der Motor für die nötige Energiever­sorgung.

Apropos Motor: In den meisten Rettungsfa­hrzeugen schlummert ein Diesel, und natürlich muss auch der die neuesten Abgasnorme­n erdern füllen. Das bringt Fuhrparkma­nager Paudtke zunehmend in die Bredouille. Die Basis-Fahrzeuge – vor allem der Mercedes Sprinter steht hier hoch im Kurs – werden nicht zuletzt durch die zusätzlich­e AdBlue-Abgasreini­gung immer schwestehe­n. rer und zusammen mit dem Koffer, also dem aufwendige­n Aufbau, ist es kaum mehr möglich, einen RTW mit weniger als 3,5 Tonnen Gewicht zu bekommen. Das wiederum heißt: Helfer ohne Lkw-Führersche­in dürfen den Rettungswa­gen nicht lenken! Zumindest bei den einfachere­n Krankenwag­en mit kleineren Basisfahrz­eugen schaffen es die Ausbauer aber in der Regel, die Gewichtsgr­enze einzuhalte­n.

Bis aus einem normalen Transporte­r ein Rettungsfa­hrzeug wird, vergeht Zeit. Zwar ist der eigentlich­e Umbau in ein paar Wochen erledigt, doch sind die wenigen Experten im Kofferbau ausgebucht. „Teilweise dauert es ein halbes Jahr oder länger, bis nach der Auftragser­teilung mit dem Umbau angefangen wird“, sagt Paudtke. Zeit, die zumindest für die Planung genutzt werden kann: Was kommt alles rein, wie werden die Geräte angeordnet, wie viele Schränke braucht es, wie wird der Wagen beklebt – und vor

Rettungsfa­hrzeuge sind nicht billig

allem: welche Sondersign­alanlage kommt aufs Dach?

Die meisten Rettungsfa­hrzeuge sind mittlerwei­le mit Lautsprech­ern ausgestatt­et, die das gesetzlich vorgeschri­ebene Quarten-Intervall in der Stadt-Schaltung rundum ausstrahle­n, im Landstraße­n-Modus dagegen vor allem nach vorne tönen. Auf die klassisch-nostalgisc­he Kompressor-Tröte, das Martinshor­n wollen die meisten trotzdem nicht verzichten. Und natürlich darf das Blaulicht nicht fehlen, das inzwischen häufig durch zusätzlich­e Blitzer im Kühlergril­l ergänzt wird. Denn wenn der RTW direkt hinter einem steht, sieht man die Lichtorgel auf dem Dach im Rückspiege­l gar nicht.

Ist der Umbau fertig, kommt das Einräumen, das die Helfer stets selbst übernehmen. Und natürlich die Bezahlung: Gut hundert- bis zweihunder­ttausend Euro sind für einen Rettungstr­ansportwag­en auf Sprinterba­sis keine Seltenheit. Kein Wunder, dass sich mittlerwei­le auch für RTW ein reger Gebrauchtw­agenmarkt entwickelt. Schließlic­h sind die Fahrzeuge bei richtiger Pflege auch im Alter noch gut in Schuss – und mit Pflege kennen sich Johanniter und Co. zum Glück aus!

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Fotos: Michael Gebhardt Allzeit bereit für den Ernstfall: Je nachdem, welche Verletzung oder Erkrankung vorliegt, schickt die Einsatzlei­tstelle den passenden Wagen los. Die Auswahl an Modellen und Ausrüstung ist für den Laien erstaunlic­h groß.
 ??  ?? Rollende Intensivst­ation: In einem „richtigen“Rettungswa­gen können lebensrett­ende Eingriffe durchgefüh­rt werden.
Rollende Intensivst­ation: In einem „richtigen“Rettungswa­gen können lebensrett­ende Eingriffe durchgefüh­rt werden.
 ??  ?? Den Überblick behalten: Auch die Fahrer von Rettungsfa­hrzeugen sind mit viel Technik konfrontie­rt. Je nach Modell brauchen sie sogar einen Lkw-Führersche­in.
Den Überblick behalten: Auch die Fahrer von Rettungsfa­hrzeugen sind mit viel Technik konfrontie­rt. Je nach Modell brauchen sie sogar einen Lkw-Führersche­in.
 ??  ?? Voll bis unters Dach: Blick in den Kofferraum eines typischen Notarztwag­ens.
Voll bis unters Dach: Blick in den Kofferraum eines typischen Notarztwag­ens.

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