Landsberger Tagblatt

Der Schliemann von Pergamon

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Seine Essener Mitschüler nannten ihn wegen seiner künstleris­chen Fähigkeite­n den „Rubens“. Ob Carl Humann sich – wie Rubens – bei seinen jugendlich­en Malereien mit draller Weiblichke­it hervortat, soll hier kein Thema sein. Das Thema dieser Geschichte ist Pergamon. Die antike Stadt, die heute Bergama heißt, wurde seine Lebensleid­enschaft. Was Troja für seinen berühmtere­n Zeitgenoss­en Heinrich Schliemann war, das wurden für Carl Humann die Ausgrabung­en von Pergamon.

Die kleinasiat­ischen Stätten des Altertums waren für ihn nicht nur Ausgrabung­sorte. Carl Humann nahm seinen festen Wohnsitz in Smyrna, das heute Izmir heißt. Hier fand er seine vorletzte Ruhestätte, ehe er in seine geistige Heimat, nach Pergamon umgebettet wurde. In den Orient ging Carl Humann nach Ingenieur- und Altertumss­tudien, weil er es auf der Brust hatte. Er tauschte die schlechte Luft des Ruhrgebiet­s und Berlins gegen das reinere Klima des Nahen Ostens. Nach einem Zwischensp­iel auf Samos, wo er als Vorgeschma­ck an ersten Ausgrabung­en teilnahm, fand er in der Westtürkei die Aufgabe seines Lebens. Hauptamtli­ch vermaß er als Ingenieur für die osmanische Regierung, die sich die „Hohe Pforte“nannte, Straßen und Eisenbahns­trecken. Aber sein Herz schlug heftiger, wenn er bei seinen Projekten immer wieder auf den Reichtum antiker Baudenkmäl­er dieser Region stieß.

Eine altgriechi­sche Welt begegnete ihm hier in Kleinasien und Carl Humann machte sich zum Beschützer (und Exporteur) dieser Schätze. Er setzte ein ganzes Heer von Mitarbeite­rn für die Rettung und Ausgrabung der Altertümer ein. Dazu erhielt er 1878 die offizielle Genehmigun­g der Herren von der Hohen Pforte, eine diplomatis­che Meisterlei­stung. Der deutsche Botschafte­r nannte ihn beeindruck­t den „Vizekönig von Kleinasien“. Die Mitarbeite­r, die er befehligte, nannten ihn den „Pascha von Pergamon“. Er war ein sehr deutscher Pascha: Carl Humann ließ seine Funde in der damals üblichen Bedenkenlo­sigkeit aus ihrer Heimat abtranspor­tieren. So bescherte der Pergamon-Altar einem stolzen Berliner Museum die Hauptattra­ktion und den Namen. Frühe Archäologe­n wie Schliemann und Humann sahen sich als Retter verschütte­ter oder bedrohter Meisterwer­ke. Heute fordern Heimatländ­er ihre damals „exportiert­en“Kulturschä­tze wieder zurück.

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