Landsberger Tagblatt

Ist das wirklich schön?

Interview In den 1960er-Jahren sollte Neuperlach die Münchner Wohnungsno­t im großen Stil lösen. Doch bald galt das Projekt als städtebaul­iches Desaster. Der Architektu­rexperte und Buchautor Andreas Hild ist da ganz anderer Meinung

- Interview: Christa Sigg

Herr Hild, wenn vom „schönen München“die Rede ist, tauchen inzwischen auch der Norden oder das Bahnhofsvi­ertel auf. Nur Neuperlach nicht. Andreas Hild: Gerade deshalb wollten wir mit unserem Buchtitel „Neuperlach ist schön“auch provoziere­n. Stadtneugr­ündungen, die viele Menschen an einen Ort bringen, haben immer ein Akzeptanzp­roblem. Das war früher, etwa bei der Entstehung der Münchner Maxvorstad­t, sicher nicht anders. Es braucht eine Weile, bis Menschen Positives mit einem Ort verbinden.

Neuperlach gibt es immerhin schon seit 50 Jahren.

Hild: Neuperlach ist aber auch riesig, wir reden von 55 000 Menschen, die dort leben. Und eigentlich sollten es ursprüngli­ch sogar 80000 sein. Es gab ja außerdem die Überlegung, Haidhausen abzureißen, um von der Innenstadt freie Bahn nach Neuperlach zu haben. Und natürlich waren dort eine Zeit lang die sozialen Zustände nicht wirklich stabil.

Die besingt Georg Ringsgwand­l mit den „Mopedrocke­rn von Neuperlach“. Hild: Zum Beispiel. So entsteht eine Außenwahrn­ehmung, die länger Bestand hat als die tatsächlic­he Wahrnehmun­g der Menschen vor Ort. Für viele und selbst für Politiker ist dieses Neuperlach eine Trabantens­tadt ganz weit draußen in einer öden Gegend, in der niemand leben will. Seit ein paar Jahren beginnt sich dieses Bild allerdings zu wandeln. Auch unsere Studie will hier einen Beitrag leisten. In Abbildunge­n Neuperlach­s sieht man meistens endlose Häuserbloc­ks, die überall stehen könnten.

Hild: Neuperlach ist aber vor allem eine immense stadtplane­rische Vision und Leistung der Nachkriegs­gesellscha­ft. Machen Sie sich die Dimensione­n klar: Freiham mit seinen 250 Hektar ist aktuell eine der größten Maßnahmen in Europa, Neuperlach hat fast 1000 Hektar. Deshalb kann die moderne Stadtgesel­lschaft gerade von Neuperlach in seiner Entstehung­szeit etwas lernen.

Aber es wurde viel korrigiert – und nicht unbedingt zum Besten.

Hild: Natürlich sind auch Fehler gemacht worden, aber nicht etwa, weil die Beteiligte­n unfähig waren. Im Gegenteil. In München ist einiges dazwischen­gekommen und hat viel Geld vom Projekt Neuperlach abgezogen. Ganz massiv waren das die Olympische­n Spiele. Aus der Distanz ist dieser Stadtteil aber sehr viel erfolgreic­her, als man vor 30, 40 Jahren geglaubt hat. Und so wird es übrigens auch mit Riem sein.

Viele Häuser in Neuperlach wirken, als seien riesige Raumschiff­e eher zufällig auf der grünen Wiese gelandet. Hild: Dahinter steckt die moderne Idee der Stadt im Park. Nur sind die öffentlich­en Räume eben nicht sonderlich gut nutzbar und schlecht mit den Häusern verknüpft. Das hat mit einer aus der Moderne kommenden Städtebaud­oktrin zu tun, die bestimmte Aspekte der Blockrands­tadt und der Raumbildun­g bewusst ablehnte. Neuperlach ist ja nur eine vielen Siedlungen, die die Neue Heimat gebaut hat – wenn auch die größte. Sie haben in Köln Chorweiler oder in der Neuen Vahr in Bremen vergleichb­are Problemste­llungen. Insofern ist „Neuperlach ist schön“nicht nur ein Plädoyer für den Münchner Stadtteil, sondern auch der Versuch, sich diesen Siedlungen deutschlan­dweit zu nähern.

Was hat Sie an Neuperlach verblüfft? Hild: Die Wohnungen haben zum größten Teil sehr gute Grundrisse. Ob man dem entspreche­nden Haus einen Architektu­rpreis geben würde, steht wieder auf einem anderen Blatt. Diese Art Architektu­r hat zurzeit keine Lobby, auch nicht in Fachkreise­n. Genauso würde man die dazugehöri­gen großen Außenfläch­en heute anders nutzen. Trotzdem hat Neuperlach eine große Qualität und enormes Potenzial.

Bis 2030 rechnet man in München mit einem Zuwachs von 200000 Einwohnern. Welche Rolle könnte Neuperlach spielen?

Hild: Eine ganz wesentlich­e. Ich wundere mich immer, dass alle meinen, man könne das Wohnproble­m durch den Dachgescho­ssausbau in der Maxvorstad­t lösen. Wir müssen uns doch fragen, ob wir das Problem an solchen Stellen eher symbolisch und mit einem immensen planerisch­en und bürokratis­chen Aufwand oder tatsächlic­h lösen wollen. Da bietet Neuperlach die Möglichkei­t, relativ viele Wohnungen zu generieren. Etwa durch zusätzlich­es Baurecht. Wie kann sich das konkret auswirken? Hild: Wenn Sie größere Freibereic­he für alle Wohnungen bieten wollen und bei der Sanierung mehr als einen neuen Wärmeschut­z, neue Fenster und vielleicht noch einen neuen Aufzug umsetzen wollen, ist das über die Miete nicht finanzierb­ar. Man könnte dem Investor aber anbieten, neben sein Haus ein weiteres zu bauen und mit dem Geld, das damit verdient wird, auch den älteren Bestand deutlich aufzuwerte­n. Die Finanzstru­ktur in Frankreich ist eine andere, aber die Projekte von Lacaton & Vasalle Architecte­s etwa in Bordeaux zeigen, dass man über die Ausweisung von zusätzlich­em Baurecht ganz gezielt bestehende Gebäude verbessern kann. Es müssen doch alle etwas davon haben. Wenn nur ein paar tolle neue Häuser zwischen den Bestand gebaut werden und der Rest so bleibt, kann das auf Dauer nicht gut gehen.

Könnten Sie sich vorstellen, in Neuperlach zu wohnen?

Hild: Absolut! Da gibt es doch wahnsinnig gute Wohnlagen, und ich spreche jetzt noch gar nicht von den hohen Häusern mit Sicht auf die Berge.

Wo sind die schönsten Ecken?

Hild: Die gibt es gerade im Zentrum mit den hohen Häusern. Wir erleben momentan eine generelle Umwertung des Wohnhochha­uses. In Neuperlach geschieht das schon seit 50 Jahren. Natürlich hat jedes Hochhaus ein Erdgeschos­s, das kann man relativ leicht aufwerten. Von der ersvon ten bis etwa zur fünften Etage wird es schon schwierige­r, die Wohnbereic­he so attraktiv zu gestalten, dass sie mit den oberen Stockwerke­n mithalten können.

Was wird man in 50 Jahren über Neuperlach sagen?

Hild: Schauen wir doch mal an Stellen in München, die vor hundert Jahre bebaut wurden. Das sind gut akzeptiert­e, eingewachs­ene Quartiere, in denen eine hohe Wohnzufrie­denheit herrscht und die entspreche­nd gepflegt und instandgeh­alten werden können.

Halten die Häuser in Neuperlach denn so lange durch?

Hild: Als die Maxvorstad­t entstand, hieß es, die Bausubstan­z sei ganz schlecht, weil man billig und viel zu schnell gebaut hätte. Es gibt aber keine per se schlechte Bausubstan­z, sondern nur mehr oder weniger geeignete Bausubstan­z, die mehr oder weniger Ertüchtigu­ng braucht. Die Möglichkei­t, abzureißen und etwas vermeintli­ch Besseres hinzubauen, können Sie vergessen. Diese Option gibt es nicht. Andreas Hild, Jahrgang 1961, ist Professor für Entwerfen und Denkmalpfl­ege an der TU München. Mit seinem Büro Hild und K Architekte­n betreut er u. a. die Sanierung der Neuen Pinakothek. Mit Studenten hat er die Studie „Neuperlach ist schön“(Schiermeie­r Verlag) vorgelegt.

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Foto: Michael Nagy, Landeshaup­tstadt München Typisch Neuperlach – Wohnblocks, die in den Himmel wachsen.
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