Leonardo da Vinci und die blühende Fantasie
Wenn der Name des Malers der „Mona Lisa“erklingt, sind Publikum, Wissenschaft und Kunsthandel in Habacht-Stellung. Das Genie weckt höchste Erwartungen. Nicht jede davon wird auf Dauer eingelöst
Möglicherweise ist das Sich-Verzetteln beziehungsweise der allzu selbstkritische Abbruch einer begonnen Arbeit auch das Problem jenes „Salvator mundi“-Gemäldes, das 2017 Auktionsgeschichte schrieb – und derzeit mutmaßlich in einem Fundus von Abu Dhabi seiner Enthüllung und Präsentation harrt. Ob dies 2019 geschieht, in Leonardos Gedenkjahr, nachdem es 2018 nicht geschah, wie vernehmlich angekündigt? Dass der Meister an dem Gemälde, speziell an der delikaten, lichtspiegelnden Kristallkugel mitgearbeitet haben könnte, bestätigen auch große Skeptiker dieser Leonardo-Zuschreibung. Aber Ungereimtheiten und Unkenntnisse von Provenienz, Originalfarben und Restaurierung belegen das Werk dennoch mit immer neuen Zweifeln.
Jedenfalls illustriert der „Salvator“mit seiner seit 1958 abenteuerlichen Karriere-Geschichte auf vortreffliche Weise, was geschieht, wenn Vermutungen beziehungsweise Fantasien um das Genie Leonardo übersprudeln. Die filmreife und mindestens kriminell angehauchte Ereignis-Abfolge geht so: 1958 für 45 (!) englische Pfund versteigert, „schlief“das Gemälde (66 mal 45 Zentimeter) erst einmal bis 2005 in US-Privatbesitz. Dann erwarb es ein Kunsthändler-Konsortium für angeblich 10000 Dollar und ließ es restaurieren. 2011 sprachen sich in London mehrere Experten für eine Authentizität des „Salvator“aus – vor dem Hintergrund der geschwindelten Zusicherung, dass das Gemälde nicht zum Verkauf stehe. So kam es auch in eine große Londoner Leonardo-Retrospektive. Doch 2013, nachdem es erfolglos wegen seines schlechten Originalmaterials auch der Berliner Gemäldegalerie angeboten worden war, ging es überraschend durch die Vermittlung von Sotheby’s in den Besitz des Kunsthändlers Yves Bouvier, diesen weltweiten Betreiber von (Kunst-)Zollfreilagern. Kostenpunkt nun bereits 77,5 Millionen Dollar – wobei im Christus-Antlitz Leonardos berühmtes Sfumato schon zum Verwaschenen neigt.
Bouvier reichte das Bild umgehend für etwa 127,5 Millionen Dollar an den russischen Milliardär Dimitri Rybolovlev weiter, der noch heute mit Bouvier vor Gericht über das enorme Vermittlungshonorar streitet. Übrigens ist Rybolovlev Geldgeber und Präsident des Fußballvereins AS Monaco – wobei gegen ihn wegen Bestechung und Einflussnahme ermittelt wird und der monegassische Justizminister Narmino deshalb bereits zurücktreten musste. Dieser Rybolovlev also, tätig im Offshore-Finanzwesen, ließ dann das Werk 2017 bei Christie’s für umgerechnet gut 381 Millionen Euro versteigern – Weltrekord.
Möglicherweise – vorerst letzte Pointe der Geschichte – haben sich bei der Auktion die Kronprinzen von Saudi-Arabien und Abu Dhabi gegenseitig hochgesteigert, weil beide glaubten, ihr Gegner sei ein Bieter aus Katar. Der Prinz aus SaudiArabien erhielt den Zuschlag – und wenig später wohl heftigen Gegenwind zu Hause am muslimischen Hof für den Erwerb eines ChristusPorträts. Er soll den Erlöser der Welt an Abu Dhabi gegen eine Yacht verscherbelt haben.
Was all dies belegt? Der Wunsch auf Teilhabe am Mythos Leonardo da Vinci ist ungebrochen hoch und weltweit virulent. Der Mann fasziniert seit Jahrhunderten. Er ist eine originäre Marke.
Die Ehrfurcht vor dem Meister war in früheren Zeiten zweifellos größer als heute, wo jeder Dumpfmeister ohne Brief und Siegel Anklang finden kann – beispielsweise als Influenzer. Einst genoss ein Meister seines Fachs im Handwerk hohen Respekt – und auch dem Meisterdieb und dem Meistersänger wurde die Achtung nicht versagt. Selbst im real existierenden Sozialismus wusste man um die Auszeichnung, die einen Meister umwölkt. Glanz ward um die Meisterhütte. Unvergessen die Leipziger „Messe der Meister von Morgen“, die der Jugend Ansporn war oder zumindest sein sollte.
Was wäre die Welt ohne Meisterwerke und Meisterstücke, geschaffen von Meisterhand – siehe Torte und Konditormeister. Und wie arm und egalitär wäre die Welt des edlen Kampfsportes und der höheren Bewusstseinsstufen ohne Meister wie Kudan (roter Gürtel) oder Zen-Meister und ihre Autorität? Wie verloren wären Schüler, Lehrlinge, Novizen, dürften sie nicht aufblicken zu einem Meister. Doch was über Jahrhunderte währte und sich in Ritualen, Meisterfeiern, Urkunden und dem schön gerahmten Meisterbrief niederschlug, ist erodiert. Die Meisterpflicht als Voraussetzung zur Betriebsgründung wurde vor Jahren für über 50 Berufe abgeschafft. Goldschmied, Schildermacher, Fliesenleger – handstreichartig per Gesellenstück der Politik fanden sie sich vom Meisterzwang befreit und derart auf eine Stufe mit dem Waldmeister, dem Weltmeister und dem Schachgroßmeister gestellt, die ebenfalls ohne traditionellen Meisterbrief dastehen, wie ihn noch jeder Metzger benötigt.
Sind wir bald so weit, dass als letzte Meisterpflicht in Deutschland die des FC Bayern München übrig bleibt, jene nämlich, Saison für Saison als Bundesliga-Serienmeister wieder den ersten Tabellenplatz zu belegen? Aber wir wissen ja, Richard Wagner, „Meistersinger“, zweiter Aufzug: „ …wer als Meister ward geboren, der hat unter Meistern den schlimmsten Stand.“Meistens jedenfalls. Nach Vorwürfen zum Umgang mit Zitaten und historischen Daten hat der österreichische Schriftsteller Robert Menasse Fehler eingeräumt und sich dafür entschuldigt. „Die Anführungszeichen waren, vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, ein Fehler“, sagte der 64-jährige Autor und Träger des Deutschen Buchpreises in einem Beitrag für die „Dafür entschuldige ich mich, das tut mir leid.“Die rheinland-pfälzische Landesregierung überprüft zurzeit die für den 18. Januar geplante Ehrung Menasses mit der Zuckmayer-Medaille. Bei den Vorwürfen geht es Medienberichten zufolge um die von Menasse vorgebrachte Behauptung, dass der erste Kommissionspräsident des EU-Vorläufers Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Walter Hallstein, seine Antrittsrede 1958 auf dem Gelände des früheren NS-Vernichtungslagers Auschwitz gehalten haben soll, was aber nicht der Fall war. Er habe selbst verschiedentlich darauf hingewiesen, dass er Hallstein nicht wörtlich, sondern sinngemäß wiedergegeben habe, erklärte Menasse.