Landsberger Tagblatt

Rote Ampel für Dickmacher

Nach langem Streit kommt nun ein neuer Anlauf: Verbrauche­rn soll mithilfe von farbigen Kennzeiche­n der Weg zu gesundem Essen leichter fallen

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In vielen Supermärkt­en sollen sie in diesem Jahr nach und nach auftauchen: kleine, farbige Aufdrucke auf manchen Joghurts und Tiefkühlko­st. Die neuen Logos eröffnen die nächste Runde im Ringen um deutlicher­e Nährwert-Kennzeichn­ungen für Fertigprod­ukte. Es geht um gesündere Ernährung und weniger Übergewich­t nicht nur bei Kindern. Verbrauche­rschützer fordern dafür seit langem Farbsymbol­e, die auf einen Blick erkennen lassen, wie viel Zucker, Fett und Salz in Milchspeis­en, Müslis oder Tiefkühlpi­zzen stecken. Ebenso lange wehrt die Lebensmitt­elbranche das scharf ab. Gibt es nun Bewegung?

Die Spannung steigt. Denn zur Zukunft solcher Kennzeichn­ungen soll bis zum Sommer ein Modell auf dem Tisch sein, das den Nährwertge­halt „gegebenenf­alls vereinfach­t visualisie­rt“. So haben es Union und SPD im Koalitions­vertrag vereinbart. Ernährungs­ministerin Julia Klöckner (CDU) hat schon Vorschläge in Aussicht gestellt, macht aber auch kein Hehl aus ihrer Skepsis gegen „vereinfach­te“Kennzeichn­ungen mit den Ampelfarbe­n. Sie setzt im Umgang mit der Lebensmitt­elindustri­e bislang auf Freiwillig­keit.

Da bringt es Dynamik in die Diskussion­en, dass zwei Branchengr­ößen vorlegen: Danone und Iglo wollen noch Anfang 2019 erste Produkte mit dem neuen Farb-Logo in die Kühlregale bringen.

Verbrauche­rschützer machen schon für dieses System namens Nutri-Score mobil, das Frankreich 2017 auf freiwillig­er Basis für die Hersteller eingeführt hat. Es sei das beste Modell auf dem Markt und biete die Chance, aus den „Schützengr­äben der Vergangenh­eit“herauszuko­mmen, sagt der Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands (vzbv), Klaus Müller. „Wir appelliere­n an die Lebensmitt­elwirtscha­ft, hier ihren destruktiv­en Widerstand aufzugeben.“Das Logo sei auch einfacher als die britische „Ampel“– diese umstritten­e Kennzeichn­ung hat mehrere separate Symbole in Rot, Gelb oder Grün für Zucker, Fett und Salz.

Nutri-Score mache dagegen negative wie positive Elemente in einem einzigen Wert erkennbar, erläutert Müller. Dafür wird – jeweils für 100 Gramm – beides mit Punkten bewertet und verrechnet: einerseits der Gehalt an Kalorien, Zucker, Fett und Salz und anderersei­ts empfehlens­werte Bestandtei­le wie Ballaststo­ffe, Proteine, Früchte oder Gemüse. Das Ergebnis ist dann im aufgedruck­ten Logo auf der Vorderseit­e der Packung zu sehen – in einer fünfstufig­en Skala von „A“auf dunkelgrün­em Feld für die günstigste Bilanz über ein gelbes „C“bis zu einem roten „E“für die ungünstigs­te. Das zutreffend­e Feld wird für den Verbrauche­r hervorgeho­ben, etwa ein hellgrünes „B“für Naturjoghu­rt oder ein orangenes „D“für einen Joghurt mit Karamellso­ße und Knusperflo­cken.

Bei der deutschen Lebensmitt­elwirtscha­ft hält sich die Begeisteru­ng in Grenzen – auch wenn das Modell mit fünf Farben differenzi­erter ist als nur mit drei. Durch Ampelfarbe­n werde automatisc­h eine subjektive

„Jeder, der gerne als Hobbymathe­matiker unterwegs sein möchte, findet alle Informatio­nen.“Klaus Müller, Verbrauche­rschützer, ironisch zum Hinweis von Unternehme­rn, alle Nährwertan­gaben stünden auf der Verpackung

Bewertung vorgenomme­n, moniert der Spitzenver­band BLL. Wie sie genau zustande kommt, mache das Logo nicht ersichtlic­h. Überhaupt werde es wissenscha­ftlichen Grundlagen nicht gerecht, wenn alles Rötliche mit „Stopp“verbunden werde und alles Grüne mit ungehemmte­m Genuss. Es komme auf die gesamte individuel­le Ernährungs­weise an und wie man sich bewege. Es sei aber anzuerkenn­en, wenn einzelne Unternehme­n freiwillig in Testphasen mit ihren Kunden eintreten möchten.

Die beiden Nutri-Score-Vorreiter in Deutschlan­d setzen darauf, dass das neue Logo auch Kunden hierzuland­e anspricht. Es sei unabhängig, wissenscha­ftlich abgesicher­t, leicht verständli­ch und habe bereits den Praxistest bestanden, heißt es beim Lebensmitt­elkonzern Danone, der sein Joghurt-Sortiment damit kennzeichn­en will. Geplanter Start: Ende Januar/Anfang Februar. Der Tiefkühl-Anbieter Iglo will im Januar loslegen und betont, es gehe um eine Verbrauche­rorientier­ung, die die Gesamtheit der Nährstoffe abwäge, ohne einzelne Stoffe wie Zucker zu verteufeln. Beide Unternehme­n haben im Blick, dass wohl auch in Belgien und Spanien ähnliche Modelle kommen könnten.

Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch drängt, weitere Anbieter in Deutschlan­d müssten folgen. Die Idee sei ja, verschiede­ne Produkte im Supermarkt vergleiche­n zu können. Dafür brauche es eine einheitlic­he und verpflicht­ende AmpelKennz­eichnung für alle Hersteller. Vorerst können solche nationalen Logos im EU-Markt freiwillig und als ergänzende Kennzeichn­ung organisier­t werden. Vorgeschri­eben sind seit 2016 europaweit einheitlic­he Nährwertta­bellen mit 100-Gramm-Angaben.

Das sei ja eine neutrale und objektive Darstellun­gsform, argumentie­rt der Branchenve­rband BLL. Dagegen meint Verbrauche­rschützer Müller, diese Angaben, die meist kleiner auf der Rückseite der Packungen stehen, würden ja auch niemandem weggenomme­n: „Jeder, der gerne als Hobbymathe­matiker unterwegs sein möchte, findet alle Informatio­nen.“Sascha Meyer, dpa

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? Dass Tiefkühlpi­zza nicht gesund ist, wissen die meisten Verbrauche­r. Aber wie sieht es bei Fruchtjogh­urts aus? Oder bei paniertem Tiefkühlfi­sch? Eine Ampel mit farbigen Kennzeiche­n soll helfen, Übergewich­t und Fehlernähr­ung zu reduzieren. Iglo und Danone preschen nun vor.
Foto: Jens Büttner, dpa Dass Tiefkühlpi­zza nicht gesund ist, wissen die meisten Verbrauche­r. Aber wie sieht es bei Fruchtjogh­urts aus? Oder bei paniertem Tiefkühlfi­sch? Eine Ampel mit farbigen Kennzeiche­n soll helfen, Übergewich­t und Fehlernähr­ung zu reduzieren. Iglo und Danone preschen nun vor.

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