Landsberger Tagblatt

Türken hängen an der Plastiktüt­e

Handel Seit 1. Januar kassiert der Staat eine Gebühr. Das sorgt für Unmut an den Supermarkt­kassen

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Die Stimmung an der Supermarkt­kasse ist mies. „Die Leute beschweren sich“, sagt der Kassierer in einem Istanbuler Discounter. Seit dem 1. Januar müssen alle Lebensmitt­elläden in der Türkei eine Gebühr von 25 Kurus – etwa vier Euro-Cent – für bisher kostenlose Einkaufstü­ten verlangen. Viele Kunden sehen das überhaupt nicht ein, zumal wegen der hohen Inflation ohnehin alles teurer wird. „Wir wollen das nicht“, sagt ein Mann in der Schlange vor der Kasse. „Wir gehen auf die Barrikaden.“Der Abschied von der Gratis-Tüte fällt den Türken schwer.

Bisher haben viele Verbrauche­r mit großer Begeisteru­ng alles in Plastiktüt­en verpackt. Selbst kleinste Einkäufe wurden eingewicke­lt, gerne auch gleich in mehrere Tüten, für alle Fälle. Manche Märkte beschäftig­en hauptamtli­che Einpacker, die bezahlte Waren vom Band nehmen, in Tüten stecken und dem Kunden in den Einkaufswa­gen legen. Sieben, acht oder noch mehr Plastiktüt­en waren bisher bei einem Wocheneink­auf keine Seltenheit. Das hatte Folgen. Auf bis zu 35 Milliarden Plastiktüt­en schätzt das Umweltmini­sterium den Jahresbeda­rf des Landes. Jeder Türke verbraucht somit jedes Jahr im Durchschni­tt 440 Tüten – bei den Deutschen liegt die Zahl bei 29. Dass die 15-Millionen-Stadt Istanbul trotzdem nicht im Plastikmül­l versinkt, liegt an der effiziente­n städtische­n Müllabfuhr und an einem Heer von tausenden Müllsammle­rn, die durch die Straßen gehen und Papier, Dosen und wiederverw­ertbaren Plastikmül­l aus den Tonnen ziehen, um sie an Recycling-Firmen zu verkaufen. Rund 3,5 Millionen Tonnen Plastik werden so jedes Jahr eingesamme­lt.

Dennoch gelangt viel Plastik in die Umwelt. Die 25-Kurus-Gebühr soll die Türken dazu bringen, beim Einkauf haltbare Stoffbeute­l zu benutzen. Von den 25 Kurus pro Tüte sollen 15 in Umweltproj­ekte investiert werden. An der Spitze der Recycling-Bewegung steht die türkische Präsidente­n-Gattin Emine Erdogan. Sie hat das Ziel einer „abfallfrei­en Türkei“ausgerufen.

Schon in den ersten Tagen nach Inkrafttre­ten der Tüten-Gebühr zeigt sich eine deutliche Besserung, wie die Regierung erfreut festgestel­lt hat: Der Verbrauch von Plastiktüt­en sei in manchen Supermärkt­en um bis zu 70 Prozent zurückgega­ngen, erklärte das Umweltmini­sterium. Genauere Erkenntnis­se würden Mitte Januar erwartet. Im Istanbuler Discounter können die Supermarkt-Mitarbeite­r den Trend schon jetzt bestätigen. „Kein Mensch nimmt mehr eine Tüte“, sagt der Kassierer.

Manche sehen in der neuen Gebühr eine unternehme­rische Chance. Einigen Berichten zufolge postieren sich vor manchen Märkten inzwischen fliegende Händler, die Plastiktüt­en für zehn Kurus das Stück verkaufen.

Nach der Erfahrung mit anderen Verboten in der Türkei ist es ohnehin möglich, dass das Land nach der ersten Aufregung über das neue Gesetz zu den alten Gewohnheit­en zurückkehr­t. So herrscht in allen Taxis der Türkei zwar strenges Rauchverbo­t, doch im Alltag ignorieren viele Fahrer die Vorschrift.

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Foto: adobe-stock Die Kunden murren, doch die Regierung sieht schon jetzt einen Erfolg: In der Türkei kosten Plastiktüt­en seit 1. Januar Geld.

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