Landsberger Tagblatt

Ärzte fordern mehr Geld für Hausbesuch­e

Verdient jeder Klempner besser als ein Arzt, der zu Patienten ins Haus kommt?

- VON BIRGIT SCHINDELE

München Machen Ärzte bald keine Hausbesuch­e mehr? Die Zahl der häuslichen Visiten jedenfalls sinkt kontinuier­lich. Untersucht­en Deutschlan­ds Ärzte im Jahr 2009 noch 30,3 Millionen Patienten zu Hause, waren es 2016 nur noch 25,2 Millionen. Das entspricht einem Rückgang von 17 Prozent. Und der Trend hält an, denn Hausbesuch­e kosten Zeit, werden aber vergleichs­weise gering vergütet – nach Angaben der Ärzte mit nur 23 Euro pro Besuch. Ändere sich das nicht, fürchtet Andreas Gassen, der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, dass es auf lange Sicht gar keine Hausbesuch­e mehr gibt.

Falls die Vergütung für die Besuche nicht deutlich angehoben werde, warnt er, „werden sie perspektiv­isch nicht mehr stattfinde­n können“. Konkrete Zahlen nennt Gassen nicht – zur Illustrati­on seiner Forderung aber wählt der Ärztefunkt­ionär ein plastische­s Beispiel: „Wenn der Klempner kommt, nimmt er teilweise schon 45 Euro für die Anfahrt. Da hat er die Tasche noch nicht mal ausgepackt.“Bei einem Arzt dagegen sei in einer Großstadt bei einem Hausbesuch mit An- und Abfahrt schnell eine Stunde vorbei – für 25 Euro inklusive Fahrtpausc­hale.

In den Verhandlun­gen mit den Krankenkas­sen haben die Ärzte bisher allerdings keine Erhöhung der Honorare für Hausbesuch­e durchsetze­n können. „Hausbesuch­e werden selbstvers­tändlich ordentlich bezahlt“, sagt Florian Lanz, der Sprecher des Spitzenver­bands der gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n. Die 23 Euro seien lediglich der Zuschlag für den reinen Hausbesuch. Zu diesem Betrag komme eine Versicheru­ngspauscha­le dazu sowie weitere Honorare wie beispielsw­eise das für das Arzt-Patienten-Gespräch, sodass ein Arzt tatsächlic­h etwa 86 Euro für einen Hausbesuch bei einem Patienten über 75 Jahre erhalte – nach 19 Uhr und in der Nacht sogar noch mehr, nämlich bis zu 131 Euro. Eine Einschränk­ung macht Lanz allerdings: Die 86 bzw. 131 Euro beziehen sich auf den ersten Besuch in einem Quartal. Die Pauschale kann ein Arzt also lediglich einmal in drei Monaten ansetzen, auch wenn er zu einem Patienten in dieser Zeit fünfmal kommt.

Bis sich Ärzte und Kassen einigen, besuchen Ärzte wie Jakob Berger aus Meitingen im Landkreis Augsburg weiterhin zum bisherigen Tarif Kranke zu Hause. An manchen Tagen betreut er nach eigene Worten so bis zu 15 Patienten. „Wirtschaft­lich“, sagt Berger, „ist das kaum zu machen.“Je nach Region müssten Ärzte auch weite Wege auf sich nehmen. Und das koste Zeit. Aus Sicht von Berger, dem Chef der schwäbisch­en Hausärzte, sind Hausbesuch­e häufig nicht nur aus rein medizinisc­hen Gründen nötig: „Man erfährt auch Dinge, die im

Krankenkas­sen rechnen mit anderen Zahlen

normalen Praxisallt­ag vielleicht untergehen.“Entdecke er etwa einen Windelkorb, wisse er, dass der Patient sich nicht traue, seine Inkontinen­z anzusprech­en. Außerdem erkenne ein Arzt beim Hausbesuch rechtzeiti­g, wenn sich der Zustand des Patienten verschlech­tere. „Ich kann ihn dann direkt behandeln und dadurch eine Krankenhau­seinweisun­g vermeiden.“Gerade Ältere und chronisch Kranke bedürften einer engmaschig­en Versorgung. „Es muss aber nicht alles ein Arzt machen“, sagt Berger. Deshalb bilde der Hausärztev­erband Arzthelfer­innen zu Versorgung­sassistent­innen in der Hausarztpr­axis aus. Sie machen dann Hausbesuch­e, wenn nicht zwingend ein Arzt gefordert ist, und nehmen beispielsw­eise Blut ab oder wechseln Verbände.

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