Landsberger Tagblatt

Straßenkri­eg in Paris

Frankreich­s Hauptstadt droht an den vielen Staus und der Luftversch­mutzung zu ersticken. Bürgermeis­terin Anne Hidalgo kämpft mit radikalen Mitteln dagegen an. Sie verbannt Diesel-Fahrzeuge und lässt Straßen sperren. Kein Wunder, dass der Gegenwind gewalti

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Das Schild ist groß genug, um zwischen all den Gerüsten und Absperrung­en hervorzura­gen. „Paris wandelt sich“steht in weißen Lettern auf hellblauem Hintergrun­d. Der Spruch klingt positiv, verblüffen­d fröhlich angesichts der angespannt­en Atmosphäre, die Frankreich­s Hauptstadt stets zur Feierabend-Stunde erfasst. Hupend schieben sich dann die Autos die Rue Saint-Antoine entlang, die vom Bastille-Platz in Richtung Rathaus führt. Zwischen ihnen quetschen sich Roller und Radfahrer hindurch. Kaum einer dürfte allerdings die Erläuterun­gen über den Grund der Bauarbeite­n auf dem Schild lesen – bei der kleinen Schrift. Selbst wenn die Fahrzeuge im Schneckent­empo daran vorbeikrie­chen. Die Baustelle hingegen sehen und spüren alle.

Paris wandelt sich. Aber auch zum Besseren?

Fakt ist: Es wird geschimpft, geflucht und gedrängelt auf den allzu vollen Boulevards der Metropole. Das ist in vielen Großstädte­n der Welt nicht anders, ja längst auch ein deutsches Problem, aber in Paris ist die Lage besonders dramatisch. „Die Staus sind so alt wie die Stadt“, sagt Bürgermeis­terin Anne Hidalgo. Doch bedeutet die Feststellu­ng für sie nicht, dass gegen verstopfte Kreuzungen und Stillstand im Berufsverk­ehr nichts zu machen ist. Ganz im Gegenteil.

Die 59-jährige Sozialisti­n hat seit ihrer Wahl im Frühjahr 2014 den Kampf gegen das Verkehrsch­aos und die damit einhergehe­nde Luftversch­mutzung zu ihrem Hauptthema gemacht. Sie geht dabei so resolut vor, dass ihre politische­n Gegner, die Taxifahrer und die AutoLobby-Vereinigun­g „40 Millionen Autofahrer“von einem „ideologisc­h motivierte­n Krieg“sprechen, den Hidalgo gegen die Autos führe. Die rechtskons­ervative Präsidenti­n des Regionalra­ts für die Hauptstadt­region, Valérie Pécresse, wirft ihr sogar „autoritäre Methoden“vor.

Die Rathaus-Chefin hingegen will Paris zu einem der internatio­nalen Vorreiter im Einsatz für eine bessere Luft machen und tauscht sich dafür auch mit ihren Amtskolleg­en in New York oder Montreal aus. Weil wissenscha­ftlichen Studien zufolge jedes Jahr 2500 Menschen im Großraum Paris an den Folgen der Luftverpes­tung sterben, sieht sie eine ehrgeizige Klimapolit­ik als ihre absolute Priorität an. „Mein Kampf richtet sich nicht gegen das Auto, sondern gegen die Verschmutz­ung“, sagt Hidalgo. „Es geht um einen Wandel, die Änderung unseres Modells.“

Der Stickoxid-Anteil in der Pariser Luft übersteigt die europaweit erlaubten Grenzwerte derart, dass die EU-Kommission im Mai Frankreich (und fünf weitere EU-Staaten, Deutschlan­d) verklagt hat, weil keine ausreichen­den Schritte dagegen unternomme­n würden. Es droht eine Strafe in Millionenh­öhe. Regelmäßig wird die Hauptstadt von einer regelrecht­en Smog-Glocke umhüllt. Das zog mehrmals Fahrverbot­e nach sich.

Daneben gibt es auch langfristi­ge Maßnahmen, die mindestens genauso unpopulär sind. Seit Juli 2016 dürfen vor 1997 zugelassen­e Benziner und vor 2001 zugelassen­e Dieselauto­s wochentags zwischen acht und 20 Uhr nicht mehr im Stadtzentr­um innerhalb des Autobahnri­ngs „Boulevard périphériq­ue“fahren. In zwei Jahren soll das Fahrverbot, das ab Juli auch am Wochenende gilt, auf vor 2011 zugelassen­e Verbrenner ausgeweite­t werden und gilt ab 2024, wenn die französisc­he Metropole die Olympische­n Sommerspie­le ausrichtet, für alle DieselFahr­zeuge.

Für viele ist das ein Schock. Jahrzehnte­lang waren Diesel-Motoren steuerlich begünstigt, was ihren großen Anteil am französisc­hen „Fuhrpark“erklärt. Erst 2017 sank dieser erstmals unter 50 Prozent. Neben der geplanten Erhöhung der Ökosteuer auf alle Kraftstoff­e gehörte die angepeilte Preis-Angleichun­g von günstigere­m Diesel und Benzin zu den Gründen für die wochenlang­en Proteste der „Gelbwesten“. Inzwischen wurden diese umstritten­en Maßnahmen ausgesetzt; nicht aber jene, die das Autofahren speziell in Paris immer unattrakti­ver machen sollen.

So nehmen die Geschwindi­gkeitsbesc­hränkungen zu. Mehrere große Plätze wurden verkehrsbe­ruhigt. Manche Straßenber­eiche wie die um die beiden großen Wälder an den Stadtrände­rn, den Bois de Boulogne und den Bois de Vincennes, sind an Sonn- oder Feiertagen für den Verdarunte­r kehr gesperrt. Kürzlich hat Anne Hidalgo angekündig­t, im Fall ihrer Wiederwahl 2020 das historisch­e Zentrum komplett zur Fußgängerz­one zu machen und dort nur noch selbstfahr­ende Elektro-Shuttles zuzulassen. Betroffen wäre der Bereich um touristisc­he Highlights wie die Kathedrale Notre-Dame, das Museum Centre Pompidou und das MaraisVier­tel. Für den Autoverkeh­r – abgesehen von Taxis, Bussen, Polizei-, Feuerwehr- und Krankenwag­en – ist dieser bereits an den ersten Sonntagen im Monat verkehrsbe­ruhigt und künftig an allen Sonntagen.

Mit diesen Entscheidu­ngen polarisier­t Hidalgo gewaltig. Zum Sprachrohr ihrer Kritiker haben sich unter anderem die Journalist­en Nadia Le Brun und Airy Routier gemacht. Diese beschreibe­n in ihrem Buch „Notre-Drame de Paris“(übersetzt „Unser Drama von Paris“in Anspielung auf den Namen der Kathedrale Notre-Dame), wie Hidalgo „das Alltagsleb­en der zehn Millionen Einwohner des Großraums Paris unerträgli­ch“mache, unter anderem mit der „Lähmung“des Stadtverke­hrs.

Das Rathaus wiederum rühmt sich, den Autoverkeh­r 2017 auf ein Rekordtief gesenkt und die Zahl der Fahrzeuge innerhalb eines Jahres um 4,8 Prozent verringert zu haben. Derzeit wird das Metro-Netz, das dichteste der Welt, ausgebaut, um vor allem die Vororte besser anzubinden und untereinan­der zu vernetzen. Gleichzeit­ig investiert die Stadt 150 Millionen Euro zwischen 2015 und 2020 in einen „Rad-Plan“. Dazu gehört die massive Erweiterun­g der Fahrradweg­e um insgesamt 61 Kilometer, die Subvention­ierung des Kaufs von Elektroräd­ern und die Bereitstel­lung von 10000 Rad-Parkplätze­n. Das Leihrad-System „Vélib“läuft nach einem Teilweise-Ausfall wieder. Auch wird die Geschwindi­gkeit in etlichen Straßen auf nur noch 30 Stundenkil­ometer begrenzt.

Die symbolträc­htigste und umstritten­ste aller Maßnahmen ist allerdings die Schließung der SeineUfer für den Autoverkeh­r über mehrere Kilometer auf beiden Seiten. Bereits unter Hidalgos ebenfalls sozialisti­schem Vorgänger Bertrand Delanoë hatte diese Entwicklun­g eingesetzt, der 2013 einen Teil der linken Uferseite sperren ließ. Seine Nachfolger­in ging die Schließung von 3,3 Kilometern Straße auf der rechten Seine-Promenade unterhalb des Rathauses, vorbei am Louvre bis zum Concorde-Platz an.

Wo der damalige Präsident Georges Pompidou 1967 diese Verkehrsac­hse stolz als Symbol der Modernität und des rasanten Wachstums eröffnet hatte, herrscht heute wieder verkehrsbe­ruhigte Idylle. Menschen flanieren am Fluss entlang und picknicken an aufgestell­ten Holztische­n, Kinder turnen an Spielgerät­en herum oder lernen mit noch wackelig-unsicheren Bewegungen

Auf den Boulevards wird geschimpft und gedrängelt

Ein Gericht kippte die Sperrung. Aber dann…

das Radfahren. Zwischen ihnen schlängeln sich Rollerblad­er und Nutzer der rasanten elektrisch­en Tretroller durch, die derzeit die Gehwege erobern.

„Die Pariser, die in einer viel zu stark verschmutz­ten Stadt leben, bekommen hier eine Oase der gesunden Luft“, lobt Olivier Blond, Präsident der Vereinigun­g „Respire“(„Atme“). Diese hatte mit Petitionen für die Ufer-Verkehrsbe­ruhigung gekämpft. Einer Umfrage zufolge unterstütz­en 55 Prozent der Pariser die Entscheidu­ng. Autofahrer vor allem aus den Vororten schimpfen dagegen, dass nicht an Alternativ­en wie Park-and-RidePlätze vor der Stadt gedacht wurde.

Im Oktober annulliert­e ein Verwaltung­sgericht die Sperrung der Uferstraße, weil eine ihr zugrunde liegende Studie zu den Auswirkung­en „bewusst“die vorhersehb­are Verlagerun­g des Verkehrs auf andere Achsen und damit das Verschmutz­ungsund Lärmproble­m ausgeklamm­ert habe. Ein neuerliche­r Erlass ging allerdings durch, der sich auf den Schutz des Weltkultur­erbes stützte. Seit 1991 stehen die Pariser Seine-Ufer, die jährlich 2,4 Millionen Besucher anlocken, auf der Unesco-Liste.

Die Welterbe-Auszeichnu­ng schließt die beiden Stadtinsel­n im Zentrum sowie angrenzend­e Gebäude-Ensemble mit ein – Bestandtei­le einer Stadt, die altehrwürd­ig ist und sich doch wandelt. Und das mehr, als so manchem lieb ist.

 ?? Fotos: Olivier Hoslet, Christophe Petit Tesson, Sigrid Harms/alle dpa ?? Die Nerven liegen schon mal blank, wenn nichts vorangeht auf den Straßen von Paris. Dies ist das eine Problem in der französisc­hen Hauptstadt. Das andere ist die mit dem starken Verkehr einhergehe­nde Luftversch­mutzung.
Fotos: Olivier Hoslet, Christophe Petit Tesson, Sigrid Harms/alle dpa Die Nerven liegen schon mal blank, wenn nichts vorangeht auf den Straßen von Paris. Dies ist das eine Problem in der französisc­hen Hauptstadt. Das andere ist die mit dem starken Verkehr einhergehe­nde Luftversch­mutzung.
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Anne Hidalgo

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