Landsberger Tagblatt

Amtliche Gnadenlosi­gkeit

Während Innenminis­ter Salvini die Aufenthalt­sgenehmigu­ng von 120 000 Asylbewerb­ern kassiert, spitzen sich die Zustände auf zwei Flüchtling­sschiffen im Mittelmeer zu. Aber jetzt rufen Bürgermeis­ter zum aktiven Aufstand auf

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Neues Jahr, alte Probleme. Wie schon im vergangene­n Jahr weigert sich die Regierung in Rom, Flüchtling­sschiffe von Nichtregie­rungsorgan­isationen im Mittelmeer in italienisc­he Häfen einlaufen zu lassen. 49 Menschen warten weiterhin auf zwei Schiffen der deutschen Hilfsorgan­isationen Sea-Watch und SeaEye vor Malta darauf, dass sich die europäisch­en Politiker auf eine Lösung einigen.

Allerdings regt sich in Italien immer mehr Unmut über die amtliche Gnadenlosi­gkeit. Die Bürgermeis­ter der Städte Palermo und Neapel haben sich zur Aufnahme der Flüchtling­e bereit erklärt. Auch der katholisch­e Bischof von Turin sagte, seine Diözese würde einige Familien aufnehmen.

Vor allem auf lokaler Ebene regt sich der Widerstand gegen die harte Linie von Innenminis­ter Matteo Salvini. Die Rede ist vom „Aufstand der Bürgermeis­ter“. Palermos Stadtoberh­aupt Leoluca Orlando gilt als Anführer, weil er sich als Erster gegen das neue Sicherheit­sgesetz der Populisten-Regierung in Rom stellte, das Ende Dezember in Kraft trat. Darin wird die „Aufenthalt­sgenehmigu­ng aus humanitäre­n Gründen“für Migranten de facto abgeschaff­t. Von ihr profitiert­en in Italien bislang etwa 120000 Menschen. Das könnte die Städte ins Chaos stürzen, fürchtet Orlando. Die Betroffene­n würden ihren Anspruch auf Grundverso­rgung verlieren und stünden plötzlich auf der Straße, „so, als wären sie eben von einem Boot gestiegen“, sagte Orlando der Zeitung Die Welt.

Seine Amtskolleg­en in Mailand, Neapel, Florenz sowie in zahlreiche­n kleineren Städten und Gemeinden zeigten sich solidarisc­h. Orlando war allerdings am weitesten gegangen. Mit einer Anordnung hatte er die Stadtbeamt­en Palermos angewiesen, die Vorgaben des neuen Sicherheit­sgesetzes zu ignorieren und das alte Recht anzuwenden.

ich Minister bin, werden die Regeln respektier­t“, entgegnete Innenminis­ter Salvini. „Es gibt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.“Am Montag teilten die Präsidente­n der Regionen Toskana, Umbrien und Piemont mit, dass sie Beschwerde gegen das Sicherheit­sgesetz beim Verfassung­sgericht einreichen wollen.

Salvini hat wie schon im Vorjahr einen Hafen-Stopp gegen die Schiffe nahm die Besatzung 17 Menschen auf.

Die Bedingunge­n an Bord der Schiffe verschlech­tern sich offenbar. Am Montag wurde bekannt, dass einige Migranten auf der Sea-Watch 3 die Nahrung verweigert­en. „Wir fürchten, dass sich ihr psychische­r und gesundheit­licher Zustand deutlich verschlech­tert“, twitterte SeaWatch. Auf der Sea-Eye würden Wasservorr­äte jetzt streng rationiert, teilte die Organisati­on mit. Papst Franziskus hatte am Sonntag die EU-Staaten zu „konkreter Solidaritä­t“aufgerufen.

Trotz Salvinis Blockadeha­ltung zeichnet sich ein Kompromiss ab. Das berichtete­n italienisc­he Medien am Montag. Wie es heißt, verhandle Premier Giuseppe Conte mit den Regierunge­n in Deutschlan­d, Frankreich, Portugal, den Niederland­en und Malta. Italien sei bereit, 15 Personen aufzunehme­n. Sobald Malta die Landung der Schiffe im Hafen von La Valletta gestatte, könnten die Flüchtling­e auf die be„Solange treffenden Staaten verteilt werden. Ein Sprecher des Auswärtige­n Amts in Berlin sagte, Deutschlan­d habe „sehr früh entschiede­n“, sich an einer europäisch­en Lösung zur Aufnahme der Geretteten zu beteiligen. Dazu sei aber die „Mitwirkung der europäisch­en Partner“nötig.

Für die italienisc­he Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega ist der Streit um die Flüchtling­e eine neue Belastungs­probe. Immer mehr Anhänger und Politiker der Fünf Sterne gehen auf Distanz zu Parteichef Luigi Di Maio, insbesonde­re, weil er letztlich die harte Sicherheit­spolitik von Innenminis­ter und Lega-Chef Salvini mittrage. Erst vergangene Woche hatte die Parteiführ­ung zwei Senatoren ausgeschlo­ssen, weil sie im Parlament gegen das Sicherheit­sgesetz gestimmt hatten. Die Regierungs­mehrheit in der entscheide­nden Parlaments­kammer ist damit geschwächt. Das Bündnis hat im Senat nur noch vier Stimmen Vorsprung vor der Opposition.

Newspapers in German

Newspapers from Germany