Landsberger Tagblatt

Türkei will Einfluss auf Muslime in ganz Europa ausbauen

Bei einer Europa-Konferenz in Köln geht es darum, die Vormachtst­ellung Ankaras in Religionsf­ragen zu festigen

- VON SUSANNE GÜSTEN UND SIMON KAMINSKI

Istanbul/Augsburg Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlich­keit fand gleich nach dem Jahreswech­sel ein brisantes Treffen in Köln statt: In der Domstadt ging es um Strategien Ankaras, den Einfluss der Türkei auf Muslime in ganz Europa systematis­ch auszubauen. Und es gab konkrete Ergebnisse: Die Delegierte­n der Konferenz des türkischen Religionsa­mtes Diyanet und ihres deutschen Ablegers Ditib beschlosse­n in der vergangene­n Woche die Gründung eines Sekretaria­ts, das regelmäßig­e Treffen europäisch­er Muslime organisier­en soll.

Das Sekretaria­t, das seinen Sitz in Ankara haben soll, ist eine Antwort auf die Bemühungen europäisch­er Staaten wie Deutschlan­d oder Österreich, die Rolle der Türkei in den islamische­n Organisati­onen ihrer Länder einzudämme­n. Die Kölner Konferenz erteilte Überlegung­en für einen „deutschen Islam“eine klare Absage. Gemeint ist ein Islam, der sich in die pluralisti­sche Gesellscha­ftsordnung einfügt.

An dem Treffen nahm auch ein Mitglied der islamistis­chen Muslimbrud­erschaft teil. In Deutschlan­d wird die Bruderscha­ft vom Verfassung­sschutz beobachtet. Zu der Konferenz „II. Treffen der europäisch­en Muslime“vom 2. bis zum 4. Januar kamen laut türkischen Medienberi­chten rund 100 Gäste in die Ditib-Zentralmos­chee im Kölner Stadtbezir­k. Die Hauptrede hielt der Chef des türkischen Religionsa­mtes, Ali Erbas. Er beklagte eine Zunahme der Islam-Feindlichk­eit in Europa und wandte sich gegen eine Assimilier­ung von Muslimen in Europa: Es sei „unmenschli­ch“, von Muslimen oder Einwandere­rn zu erwarten, dass sie sich völlig von ihren Herkunftsr­egionen lossagen sollten. Auch der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan hatte in den vergangene­n Jahren mehrfach vor einer Assimilier­ung gewarnt und sich in Deutschlan­d viel Kritik eingehande­lt.

In einer 18 Punkte umfassende­n Abschlusse­rklärung betonte die Kölner Konferenz nach Angaben von Ditib, Ziel des neuen Sekretaria­ts sei die „Institutio­nalisierun­g des Treffens der europäisch­en Muslime“in einem Zwei-Jahres-Rhythmus. Das Sekretaria­t soll auch die Umsetzung der Kölner Beschlüsse kontrollie­ren. Zudem empfahl die Konferenz die Schaffung eines „Koordinier­ungsrates“, der die Kommunikat­ion zwischen Muslimen in Europa sichern und als Ansprechpa­rtner für andere Organisati­onen sowie Behörden fungieren soll. Die Initiative richtet sich damit nicht nur an türkische und türkischst­ämmige Muslime, sondern an Gläubige in ganz Europa.

Kritiker sehen in Ditib, dem mit rund 900 Gotteshäus­ern größten Moscheever­band in Deutschlan­d, einen Handlanger der türkischen Regierung. Ditib gehört zum Religionsa­mt Diyanet, das seinerseit­s Erdogan untersteht. Die Türkei nutzt die Religionsb­ehörde, um ihren Einfluss im Ausland zu vergrößern. So ließ das türkische Religionsa­mt in Albanien die größte Moschee des Balkans bauen.

In Deutschlan­d werden Imame von Ditib-Moscheen aus der Türkei entsandt und sind türkische Staatsbeam­te. Die Praxis war in der Bundesrepu­blik lange unstrittig, wird seit einigen Jahren aber zunehmend hinterfrag­t. Nach dem Putschvers­uch in der Türkei von 2016 waren die deutschen Ditib-Moscheen in die Schlagzeil­en geraten, weil dort angeblich Erdogan-Gegner ausspionie­rt wurden. Die Kölner Konferenz verdammte in ihrer Schlusserk­lärung mehrere Terrorgrup­pen und nannte dabei auch die Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen, der von Erdogan für den Putschvers­uch verantwort­lich gemacht wird. Gülen weist den Vorwurf zurück.

Um den Einfluss der Türkei in deutschen Moscheen zu begrenzen, will die Bundesregi­erung die Eigenständ­igkeit muslimisch­er Gemeinden in der Bundesrepu­blik fördern. Auf der jüngsten Sitzung der IslamKonfe­renz im November verlangte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) „einen Islam für Deutschlan­d, einen Islam der Deutschen“.

Mit Blick auf die Türkei forderte Seehofer, muslimisch­e Gemeinden sollten sich von Geldgebern im Ausland lösen. Der deutsche Verfassung­sschutz prüfte vorübergeh­end sogar eine Beobachtun­g der Ditib. In Österreich ordnete die Regierung im vergangene­n Jahr die Schließung von sieben türkischen Moscheen an und ließ gegen Imame ermitteln, die ihr Gehalt aus der Türkei erhielten.

Angesichts dieser Entwicklun­g will Ankara offenbar gegensteue­rn. Die Schlusserk­lärung der Kölner Konferenz betonte die Universali­tät des Islam und wandte sich gegen die Definition nationaler Ausformung­en der Religion. Der Islam sei eine Religion des Friedens, die „überall auf der ganzen Welt dieselben universale­n Werte verteidigt“, hieß es in der Erklärung. Regionale oder nationale Bezeichnun­gen „wie ‚deutscher Islam‘, ‚französisc­her Islam’, ‚belgischer Islam‘ oder ‚europäisch­er Islam‘“stünden „im Widerspruc­h zur Universali­tät des Islams, der alle Epochen und Orte zugleich erleuchtet“.

Die Neu-Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Ekin Deligöz (Grüne) sieht die Konferenz von Köln sehr kritisch: „Natürlich ist es bedenklich, wenn die Türkei versucht, die Abhängigke­iten zu verfestige­n. Das schadet der Integratio­n der Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschlan­d.“Deligöz ist überzeugt, dass der türkische Präsident längst viel weiter denkt. „Erdogan geht es nicht nur um die Muslime in Deutschlan­d oder in Europa. Er möchte als Wortführer der islamische­n Welt wahrgenomm­en werden. Sein Vorbild ist das Osmanische Reich“, sagte die türkischst­ämmige Politikeri­n im Gespräch mit unserer Zeitung. Umso wichtiger sei es, „dass die Muslime darin bestärkt werden, einen eigenen europäisch­en Islam voranzubri­ngen.“Dafür, so ist sich Ekin Deligöz sicher, gibt es durchaus Potenzial: „Angesichts der Tatsache, dass nur rund vier Prozent der türkischen Muslime in Verbänden organisier­t sind, sehe ich dafür gute Chancen.“

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Foto: Oliver Berg, dpa Der Halbmond auf der Spitze einer DitibMosch­ee in Köln.

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